Der Mann, der's wert ist
ungemahlene
Bohnen. Das reichte höchstens für eine Tasse. Um meine Enttäuschung zu
verbergen, sagte ich: »Mahlst du den Kaffee jedesmal frisch?«
»Sicher, Benedikt meint, es ist
ein himmelweiter Unterschied zwischen abgestandenem Pulver und frischen
Bohnen.«
»Ja«, sagte ich, obwohl das
Kaffeepulver bei uns niemals abgestanden ist, weil wir soviel Kaffee trinken.
»Ich werde mal gehen und Kaffee kaufen, er reicht auch nicht für Benedikts
Frühstück morgen.«
Nora erklärte mir den Weg zur
Bäckerei zwei Straßen weiter, dort gebe es immer frischen Kaffee, dort kaufe
sie auch die Frühstücksbrötchen. Ich freute mich, einen Spaziergang in der
Morgensonne machen zu können. Es war alles so friedlich hier. Unsere Straße
bestand aus Einfamilienhäuschen und Zweifamilienhäuschen mit Ziegeldächern,
alle in den fünfziger Jahren gebaut, vor den Küchenfenstern und an den Haustüren
diese typischen Fünfziger-Jahre-Gitter, komponiert aus drei schrägen Stangen,
die unterschiedlich große Kreise oder längliche Rechtecke durchschneiden. Auch
die Gartenzäune erinnerten daran, was Handwerker in den fünfziger Jahren als
ultramodern gepriesen hatten. In der nächsten Straße waren die Häuser älter und
vier bis fünf Stockwerke hoch, das war die Einkaufsstraße. Ich passierte drei
Jeansboutiquen, einen Friseur, zwei Geschenkartikelboutiquen, drei
Bankfilialen, einen Drogeriemarkt, zwei Lädchen für Modeschmuck, einen
Lebensmittelmarkt, eine Apotheke, einen Optiker, zwei Goldschmiede, eine
Boutique mit bemüht flippigen Klamotten — alles nichts Besonderes, auch nichts
besonders teuer. Es war wie überall, hier konnte man leben.
Ich kaufte ein Pfund Kaffee,
ungemahlen. Wenn Benedikts Mutter — beziehungsweise Nora — meinte, täglich
frisch gemahlen sei besser — wegen solcher Kleinigkeiten streitet man sich
nicht. Und zwei Stück Kuchen, ich aß beide sofort, ich hatte solchen Hunger.
In meiner Handtasche war der
braune Umschlag mit den achttausend Mark, den mir mein Vater als Entschädigung
für die Renovierung seiner Wohnung zugesteckt hatte. Achttausend Mark für meine
Möbel, Einbauten und all meine Arbeitszeit. Außerdem hatte er für das Geld den
Ohrensessel bekommen, den ich bei meinem Antiquitätenhändler gekauft und selbst
restauriert hatte, er stand jetzt in seinem Arbeitszimmer, das gute Stück
sollte nicht von Solveig zerstört werden.
Es war riskant, soviel Geld
durch die Gegend zu schleppen. Ich mußte hier ein Konto eröffnen. Mein früheres
Konto zum Studententarif war prompt nach Studienende von der Bank in ein
normales Konto umgewandelt worden, mit extra teuren Kontoführungsgebühren,
deshalb hatte ich es aufgelöst und beschlossen, an meinem neuen Wohnort eine
andere Bank zu suchen. Aber nicht heute.
Als ich eine Telefonzelle sah,
fiel mir ein, daß ich meiner Mutter mitteilen sollte, daß wir gut angekommen
waren, das wollte ich sofort machen.
»Ich will ans Telefon«, meldete
sich Solveig.
»Solveig, hallo, hier ist die
Viola, bitte hol mal deine Oma.«
»Ich will nicht«, sagte Solveig
und legte auf.
Verdammt. Meine Mark war
verloren. Das war auch so eine neue Plage, ständig ging Solveig ans Telefon.
Wieso war Solveig überhaupt Montag frühmorgens bei meinen Eltern? Annabell
wollte doch gleich gestern abend unsere ehemalige Wohnung in Beschlag nehmen!?
Beim zweiten Versuch warf ich vorsichtshalber nur Zehner ein.
»Ich will ans Telefon.«
»Hol die Oma, sonst mach ich
deinen Videorecorder kaputt!« Solveig legte nicht auf. Ich wartete und wartete,
meine Zehner rasselten durch. »Hol die Oma«, brüllte ich so laut ich konnte,
nichts regte sich. Ich legte auf, versuchte es mit den letzten Zehnern noch
mal. Besetzt.
Also würde ich meinen Vater im
Büro anrufen, seine Büronummer wußte ich nicht auswendig, ich würde ihn von zu
Hause anrufen. — Hatte ich schon >zu Hause< gedacht? Ja. — Innerlich
wußte ich bereits, daß ich hier zu Hause war. Ich sah alle Leute, die mir
begegneten, genau an, sicher würde ich bald jemanden treffen, den ich von
früher kannte, und sicher würde ich bald viele neue Bekanntschaften machen.
Dies war meine Heimat.
»Deine Mutter hat angerufen«,
rief Nora aus der Küche, »ich hab ihr gesagt, daß Benedikt schon fleißig am
Arbeiten ist, schönen Gruß an dich soll ich ausrichten.«
Als ich erzählte, daß mich
Solveig zweimal am Telefon abgehängt hat, lachte sie: »Benedikt hat als Kind
auch so gern telefoniert.«
Endlich bekam
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