Der Mann, der's wert ist
stehengeblieben.
Ich ging hinunter. Nora schnitt
in der Küche Tomaten.
»Wie kommt man raus in den
Garten, Nora?«
»Durch das ehemalige
Spielzimmer der Kinder.« Sie ging mit, um es mir zu zeigen. Das ehemalige
Spielzimmer war eine Art Wintergarten, ein verglaster Vorbau, sieben Quadratmeter
klein. In der Mitte ein dreifüßiges Blumentopfständer-Gestell aus gebogenem
Bambus, auf verschiedenen Höhen abzweigende Holzbrettchen, auf die man je einen
Blumentopf stellen konnte. Es waren aber keine Blumentöpfe drauf, nur
Spitzendeckchen aus Plastik. An einer Wand ein omaaltes Sofa mit gerader
Rückenlehne, vermutlich Jahrhundertwende, der Bezug vermutlich aus der zweiten
Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Außerdem befanden sich in diesem
ehemaligen Spielzimmer Stapel alter Blumentöpfe und Obstkisten. Und ein
Holztischchen, eierschalengelblich wie der Stuhl im Bad. An allen Fenstern
Staub und Spinnweben.
»Ein Paradies für Kinder«,
sagte Benedikts Mutter — also Nora. Ja, sicher, aber dieses Haus war auch für
jede Innenarchitektin ein Paradies. Diese Möglichkeiten der Renovierung! Je
scheußlicher, je vergammelter etwas ist, desto phantastischer die Renovierung.
Vom ehemaligen Spielzimmer
führten drei Stufen in den Garten. Der Garten war etwa zehn Meter breit, kaum
breiter als das Haus, und etwa zwanzig Meter lang. Vor dem Wohnzimmerfenster
ein betonierter Fleck, dort standen drei dunkelgraugrüne Gartenlokal-Stühle und
ein runder Tisch mit verbeulter Blechplatte. Es sah malerisch aus, wie in einem
vergammelten französischen Bistro. Nur der Tannenbaum direkt vor der
Beton-Terrasse wirkte sehr deutsch. Ich finde, diese Tannenbäume, die zum
gegebenen Zeitpunkt zu Weihnachtsbäumen umfunktioniert werden, haben die
sparsame Spießigkeit von Mehrzweckgeräten.
Links am Gartenzaun entlang
wuchsen Tomaten. Hinten, wo der Garten ans nächste Haus grenzte, mehr Tomaten.
Ich identifizierte auch Küchenkräuter, Bohnen und Salat. Zwei Bäume, einmal
kleine grüne Birnen, einmal Pflaumen. Dahinter unidentifizierbares flaches
Gemüse. Vor der Beton-Terrasse wuchsen einige Blumen von der dauerhaften Sorte:
Löwenmäulchen, orangerote Ringelblumen und ein lila Kraut.
»Benedikt wollte als Kind
überall Tomaten«, sagte Nora, »aber Medi wollte lieber Blumen. Da muß man als
Mutter einen Kompromiß finden.«
Überall Blumen hätte ich schöner
gefunden. Schöne Blumen. Vor meinem Innenarchitektinnen-Auge entstand ein
buntes Blumen-Chaos wie auf einem impressionistischen Gemälde. Oder lieber alle
Blumen in Weiß und Blau? Die Bohnen könnte man stehenlassen als natürlichen
Grünzaun zum Nachbargrundstück. Und dazwischen Clematisranken, blaublühende und
weißblühende abwechselnd. Und zwischen dem Salat große Margeritenbüsche? Blaue
Hortensien sind auch was Dekoratives, dachte ich beim Anblick von drei
langweiligen Johannisbeersträuchern. Warum nicht Gemüse und Blumen
durcheinander pflanzen? Rosen zwischen Rosenkohl? Oder Rosen zwischen Tomaten?
Wenn Benedikt Tomaten so liebte...
»Schade, daß Benedikt nicht mit
uns essen kann, er ißt so gern auf der Terrasse«, sagte Nora. Sie ging ins Haus
zurück, kam wieder und legte die braun-orange-weiß-karierte Plastikdecke aus
der Küche auf den Gartentisch. Nun sah es nicht mehr aus wie in einem
vergammelten Bistro, eher wie in einer vergammelten Kneipe. Na ja.
Dann zeigte sie mir das
Porzellan im Wohnzimmerschrank. Ich durfte es auf die Terrasse tragen. Das
Porzellan war nicht aus den 50er Jahren wie die sonstige Einrichtung hier, es
war ungefähr aus den 40er Jahren, Pseudo-Art-Deco, cremefarben mit braunen
Ecken wie Treppenstufen, aus jeder Stufe bog sich ein abstraktes Blümchen
abwechselnd nach links oder rechts. Dafür war das sogenannte Silber, das
ebenfalls im Wohnzimmerschrank aufbewahrt wurde, relativ modernes Stahlbesteck
mit braunen, holzmasergeprägten Plastikgriffen. — Ob Nora mein weißes Service
zu schlicht finden würde? Und mein versilbertes antikes Aussteuerbesteck nicht
modern genug?
»Bei mir gibt es immer
Nachspeise, auch wenn die Kinder nicht da sind«, rief sie aus der Küche.
Es gab sogar eine Vorspeise:
Tomatensalat. Der Hauptgang war ein Bohnen-Erbsen-Tomaten-Eintopf, in den sie
ein paar Würstchen geschnitten hatte. »Nächste Woche, wenn die Schulferien
vorbei sind, gehe ich mittags wieder mit Medi essen. In den Ferien und wenn
Medi nicht da ist, koche ich jeden Sonntag einen Gemüseeintopf, friere mir
Portionen ein, so
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