Der Mann, der's wert ist
habe ich die ganze Woche frischen Eintopf, ohne große
Kocherei.«
Ich fand das toll, daß Nora das
Kochen so nebenbei erledigte, ich koche nämlich nicht gern und kann eigentlich
auch gar nicht kochen, das muß ich von meiner Mutter haben. Bisher hatten
Benedikt und ich in der Mensa gegessen. Oder waren abends in unsere Pizzeria
gegangen. Unsere Kochkünste beschränken sich auf Spaghetti Carbonara, Spaghetti
Matriciana und alle sonstigen Spaghettivariationen, die mit Fertigsaucen herzustellen
sind. Wir können auch Rührei und Pellkartoffeln, den Rest kauften wir als
Fertiggerichte oder Fast-Fertiggerichte. Bei unserem Metzger gab es fertig
panierte Schnitzel und eingelegte Steaks, das war sehr praktisch, erzählte ich
Nora.
»Da wird Benedikt jubeln, daß
er endlich wieder gartenfrisches Gemüse bekommt«, sagte Nora. »Wenigstens
sonntags soll er die gute Hausmannskost seiner Kindertage so richtig genießen
dürfen.«
Oh ja, ich eß auch gerne
Hausmannskost.
Nora brachte den Nachtisch:
eingemachte Birnen, natürlich aus eigenem Anbau. Dann holte sie sich einen
Klosterfrau Melissengeist aus der Vitrine. »Wenn du willst, zeig ich dir nach
dem Abspülen Fotos von meinen Kindern.«
Oh ja. Während ich spülte und
abtrocknete, das Porzellan und das Silber im Wohnzimmerschrank verstaute,
wischte Nora die Plastikdecke ab, dann brachte sie einen Stapel zerfledderter
Fotoalben aus dunkelbrauner Pappe mit Krokoprägung. Sie griff nach dem
zerfleddertsten: »Hier sind die Fotos von Benedikt, die interessieren dich sicher
am meisten.«
Ich nickte begeistert. Auf der
ersten Seite klebte eine echte Locke, mit hellblauem Stickgarn umwickelt, eine
strahlend blonde Locke. Und das Baby auf dem Foto daneben, dieses Lachen!
Unverkennbar Benedikt! »Niedlich«, sagte ich begeistert.
»Er war das hübscheste Kind«,
sagte Nora, und man mußte es ihr glauben. Auf der nächsten Seite Benedikt-Baby
im Arm seiner Mutter. Sie hatte schon immer diese praktische Ponyfrisur gehabt.
Dann Benedikt in der Wiege. Benedikt krabbelnd unter einem Baum. Benedikt-Baby
mit einem Blümchen und mit Mutti. Benedikt-Baby mit einem Luftballon. Benedikt
mit Schnuller, ohne Schnuller, mit Mützchen. Benedikt ohne Mützchen, mit
Mutter. Dann Benedikt ungefähr zwei Jahre alt, auf der Kühlerhaube eines
todschicken Sportwagens, neben ihm lehnte ein gutaussehender, lächelnder Mann
mit Hut. Dieses Lächeln — ganz wie Benedikt. »Ist das sein Vater? Und was für
ein tolles Auto!«
»Damals hatte Benedikts Vater
dieses schneeweiße Mercedes-Sportcoupé. Sein Vater fuhr immer das beste
Mercedes-Modell.« Aber kein weiteres Wort über ihren Ex-Ehemann. Drei oder vier
Jahre war Benedikt alt, als seine Eltern sich scheiden ließen, hat er mir
erzählt. Er glaubt, sein Vater ist einfach abgehauen. Warum, weiß er nicht, man
spricht nicht darüber. »Von Mercedes hab ich nicht so viele Babyfotos«, sagte
Nora. »Babyfotos vom Mercedes?« Ich staunte.
Nora griff zu einem anderen
Album: »Hier ist das Album von Mercedes.« Auf der ersten Seite wieder eine
blonde Locke eingeklebt, mit rosa Stickgarn umwickelt. Wieder ein Baby auf
Noras Arm, das mußte Benedikts Schwester sein, sie ist sechs Jahre älter als
er. Dieses Baby hatte kleinere Augen. Und in diesem Album waren mehr Fotos, auf
denen das Kind auf einem Mercedes, neben einem Mercedes oder in einem Mercedes
zu sehen war. Zuerst als Baby auf der runden Kühlerhaube eines dunklen Mercedes
mit runden Kotflügeln, dann als etwa Vierjährige vor einem Mercedes mit
stromlinienzackigen Kotflügeln, dann mit Schultüte und Ranzen vor dem
Sportwagen, der strahlende Vater am Steuer.
»Medi war immer die
Klassenbeste«, sagte Nora.
Jetzt dämmerte es mir: »Heißt
Medi Mercedes?«
»Natürlich heißt Medi
Mercedes.«
»Ich dachte, Medi sei ihr
richtiger Name.« — Ihre Postkarten an Benedikt unterschrieb sie immer >Deine
liebe Medi<. »Benedikt hat mir nie gesagt, daß Medi Mercedes heißt.«
»Wir in der Familie nennen sie
nur bei ihrem Kosenamen. Für alle anderen heißt sie Mercedes.«
»Heißt sie so, weil ihr Vater
Mercedes fuhr?«
»Mercedes ist genau der Name,
der zu ihr paßt, so französisch und so elegant.«
Ich betrachtete das Mädchen auf
den Fotos genauer. Eigentlich sah sie eher aus wie ein Volkswagen. »Hat sie
einen festen Freund?«
»Ihr ständiger Verehrer macht
ihr ständig Heiratsanträge! Und er kauft ihr ständig Couturekleider und bezahlt
all ihre Reisen. Jetzt ist sie gerade mit ihm
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