Der Mann, der's wert ist
ich meinen
Kaffee. Nora war bereit, ein Täßchen mitzutrinken. Im Radio lief ein
Wunschkonzert für Autofahrer, daheimgebliebene Ehefrauen grüßten ihre Männer:
»...hier ist die Julia Hübner aus Aschaffenburg, ich grüße meinen Mann, der mit
einem beigen Toyota Corolla mit dem Kennzeichen AB-M758 im Raum Aschaffenburg
unterwegs ist.« — Ich fragte mich, warum die grüßende Ehefrau die Autonummer
des gegrüßten Ehemannes so sorgfältig aufsagte, als würde sie einen Geheimcode
aufrufen — kannte ihr Mann eher die Autonummer als den Namen seiner Frau?
Nachdem ich genügend Kaffee
getrunken hatte, wollte ich unsere Koffer ausräumen, aber wohin mit unseren
Sachen? »Benedikts Sachen hab ich schon in seinen Schrank geräumt«, antwortete
Nora.
Ich erschrak etwas. Wir hatten
alles durcheinander in die Koffer gepackt. Und ich hatte für die Umzugswoche,
wie für eine Ferienwoche, meine schönsten Slips eingepackt, die mit den
eingestickten Wochentagen. Was Benedikts Mutter gedacht hatte, als sie den Slip
sah, auf dem »Samstag« eingestickt war? Er war knallrot und bestand aus nichts
als Spitze. Ich wurde ein bißchen knallrot, sagte aber lässig: »Dann werde ich
vorläufig meine Sachen dazuhängen« und ging hinauf in Benedikts Zimmer. Unsere
Koffer lagen offen auf dem Bett. Alles, was mir gehörte, war noch drin. Und
Benedikts schwarze Tangaslips. Da wird sich seine Mutter noch wundern, wenn sie
merkt, daß ihr Sohn auch schwarze Unterwäsche hat.
Ich inspizierte den großen
Schrank: Er war vollgestopft. Mit Klamotten, die ich nie an Benedikt gesehen
hatte — ein kinderkleiner, gelber Anorak, riesige ausgeleierte bordeauxrote und
flaschengrüne Rollkragenpullis, Hosen total aus Trevira. In den Fächern
seltsame Hemden, kariert wie Küchenhandtücher. Wann hatte Benedikt senfgelbe
Frotteesocken getragen? Wann würde Benedikt jemals wieder diesen orange-blauen,
waschmaschinenfesten Acrylrollkragenpulli voller Faserklümpchen anziehen? Ich
konnte mir nicht vorstellen, was geschehen müßte. Ich ging wieder hinunter. »In
Benedikts Schrank ist kein Platz mehr.«
»Ja, seine Garderobe ist
ausgesprochen gut sortiert.«
»In den gelben Anorak paßt er
aber nicht mehr rein.«
»Der war immer sein
Lieblingsstück! Und irgendwann wird alles wieder Mode.«
Was sollte ich jetzt tun?
Benedikts Mutter — beziehungsweise Nora — erwartete, daß ich mich selbst um
meinen Kram kümmerte, und das war mir recht. Ich knarrte wieder hinauf... und
schlich von Benedikts Tür zu Medis Tür. Da war bestimmt auch ein Schrank.
Vorsichtig, Nora sollte mich nicht hören, drückte ich die Klinke runter.
Abgeschlossen. Was hatte das zu bedeuten? Hatte es was zu bedeuten? Ich mußte
abwarten. Vorläufig jedenfalls.
Also besichtigte ich statt
dessen das Bad. Es war fast so groß wie Benedikts Zimmer. Ein Steinfußboden wie
in der Küche, eine freistehende Wanne mit abgeplatztem Emaille, ein riesiger
Boiler. Auf einem graulackierten Holztisch aufgereiht Benedikts Rasierapparat,
Benedikts After Shave, seine Zahnbürste, seine Haarbürste, sein Kulturbeutel.
Noras Kosmetik-Utensilien standen ebenso ordentlich aufgereiht auf der
Glasplatte über dem kleinen Waschbecken: eine Dose Nivea, eine Flasche 4711,
eine verpackte Palmolive-Seife, und, ich staunte, eine Flasche Linique
>Dramatically Different Moisturing Lotion< und ein Lippenstift in einer
protzigen Goldhülse von Helena Rubinstein. Wahrscheinlich waren das Linique und
der Rubinstein-Lippenstift Muttertagsgeschenke von Benedikt oder Medi,
wahrscheinlich nie benutzt. Ich sah mir den Lippenstift genauer an, drehte ihn
hoch: aufgebraucht bis zum Anschlag. Ich werde ihr einen neuen schenken, zum
unehelichen Schwiegermuttertag. Ansonsten gab es nichts Bemerkenswertes im Bad:
auf einem eierschalengelblichen Küchenstuhl vier Frotteehandtücher, schon von
weitem sahen sie kratzig aus. Unter dem Stuhl eine Großsparflasche
Fichtennadelschaumbad. In der Ecke eine Waschmaschine und rechts an der Wand
ein Kunstdruck — sinnigerweise die Frau im Bad von Ingres. Das Kunstdruckpapier
hatte sich im Lauf der Jahre durch Badewasserdampf aufgeworfen, die schöne
Nackte war mit Blasen übersät. Der vergilbte Lack, mit dem der Kunstdruck
überzogen war, splitterte auf ihrem Rücken, als hätte sie Sonnenbrand. Ich
mußte lachen. Irgendwann war in diesem Haus die Zeit stehengeblieben. So etwa
vor zwanzig, dreißig Jahren. Ja, etwa zur Zeit von Benedikts Geburt war in
diesem Haus die Zeit
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