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Der Mann, der's wert ist

Der Mann, der's wert ist

Titel: Der Mann, der's wert ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Heller
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den schlafenden Bauern,
denen die gebratenen Gänse ins Maul fliegen. »Das war immer Benedikts
Lieblingsbild«, erklärte seine Mutter. »Gute Nacht.«
    »Gute Nacht, schlaf auch gut.«
Ich sah ihr nach, wie sie in ihrem orangeroten Jogginganzug die Treppe
hinaufknarrte. Ich kramte aus meiner Reisetasche mein Gesichtswasser und meine
Nachtcreme und putzte mir die Zähne über der Spüle. Viel zu müde, um mich zu
waschen.
    Die Treppe knarrte wieder,
Benedikt kam. »Herzchen«, er küßte mich, »sei nicht traurig, daß ich jetzt
allein schlafen muß. Träum schön.«
    »Träum auch schön, bis morgen,
Herzchen«, sagte ich und küßte ihn. Dann mußten wir beide gähnen und lachen.
    Noch lang nachdem ich im
Wohnzimmer den Leuchtglobus ausgeschaltet hatte, flimmerten die
schimmelähnlichen Bäume des Tapetenmusters vor meinen Augen. Irgendwie hatte
ich mir Benedikts Mutterhaus anders vorgestellt. Und alles war so niedrig hier.
Wo sollte ich meinen Kronleuchter aufhängen?
    Als ich einschlief, hatte ich
das Gefühl, als würde der Regen von beiden Seiten des Zimmers gegen die
Scheiben schlagen.
     
     
     

3. Kapitel
     
    Am ersten Tag in meiner neuen
Heimat wachte ich auf von einem grünlichen Dämmer umgeben, sah auf meine Uhr,
riß die grünlichen Vorhänge auf, es war wahr, es war kurz vor neun. Benedikt
hatte an seinem ersten Arbeitstag verschlafen! Ich warf mich in meine Jeans,
rannte die Treppe hoch. In Benedikts Zimmer war Benedikts Mutter, im grüngrauen
Jogginganzug staubte sie die Modellautos auf dem Regal mit einem Handbesen ab.
    »Benedikt hat verschlafen!
Guten Morgen!«
    Sie lächelte: »Nein, er ist
sehr pünktlich weggefahren, Punkt 7 Uhr 20. Ich hab ihm zur Feier des Tages das
Frühstück ans Bett gebracht, das hat er als Kind so geliebt, da bekam er am
Geburtstag immer das Frühstück und die Geschenke ans Bett. Ich dachte, in
Benedikts Alter ist ein erster Berufstag sogar wichtiger als ein Geburtstag.«
    Ich ärgerte mich, daß ich
Benedikts wichtigen Tag verschlafen hatte. »Ich war kaputt vom Umzug«, sagte
ich zu meiner Entschuldigung, und zu Benedikts Entschuldigung, »deshalb hat
mich Benedikt auch nicht geweckt. Ich hab geschlafen wie ein Stein.«
    »Benedikt hat vor Aufregung die
ganze Nacht kein Auge zugetan.«
    Ich schwor mir, morgen früher
aufzustehen, ging hinunter ins Wohnzimmer, ich brauchte dringend Kaffee, um
wach zu werden. Aber ich konnte Benedikts Mutter schlecht bitten, exakt in dem
Moment, in dem ich wach wurde, für mich Kaffee zu machen. Ich mußte also abwarten.
    Der Staub flirrte durch die
Luft, es war wunderbar ruhig im Haus, nur mein Magen knurrte. Endlich hörte ich
Benedikts Mutter in die Küche gehen, hörte Radiogedudel und ging auch in die Küche.
Sie saß am Küchentisch und blätterte in einem Reklameblättchen.
    »Kann ich einen Kaffee haben?«
    Sie deutete mit einer Bewegung
ihrer Zeitung auf ein Tablett, auf dem eine verbeulte Thermoskanne stand und
ein Teller mit einem Brötchen. »Es muß noch Kaffee in der Kanne sein, Benedikt
war zu nervös, um richtig zu frühstücken.«
    In der Kanne war nur ein
Schluck lauwarmer Kaffee.
    »Ach, Benedikt hat mir gar
nicht gesagt, daß er soviel Kaffee trinkt. Meine Medi trinkt nur Tee. Medi
findet sogar, daß Kaffee etwas Proletarisches an sich hat, aber ich sehe das
nicht so eng.« In mir wallte ein Gefühl der Dankbarkeit auf, daß sie das nicht
so eng sah. Langsam aß ich das Brötchen und überlegte, wie ich Benedikts Mutter
beibringen konnte, daß ich morgens mindestens zwei ganze Tassen Kaffee
brauchte. Es fiel mir nichts ein. Zweifellos erwartete sie, daß ich mich in
ihrem Haushalt selbst versorge, und das war mir natürlich hundertmal lieber als
mich von ihr bedienen zu lassen. Ich war nicht als Gast gekommen, sondern für
immer. »Ich hätte gern etwas mehr Kaffee«, sagte ich schließlich, und dann
fügte ich hinzu: »Ich weiß nur nicht, wo dein Kaffee ist, Nora.« So! Ich hatte
es geschafft! Ich hatte sie mit Vornamen angeredet! Gleich am allerersten Tag
hatte ich es geschafft! Schon war das Eis gebrochen. Ich lächelte sie an.
»Alles links unten im Küchenschrank, aber nicht den Tee in der roten Packung
nehmen, der ist für Medi, wenn sie uns besucht, den hat einer ihrer Verehrer
extra in London besorgt.« Ehrfurchtsvoll betrachtete ich die rote Teepackung,
fand die Filtertüten, einen Plastikfilter und ein verknautschtes
Kaffeepäckchen. Es waren fünf oder sechs Kaffeebohnen drin. Ganze,

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