Der Mann, der's wert ist
schweren Kopf
auf die Hand stützt.
Ich wußte nicht, was ich sagen
sollte. Um irgendwas zu sagen, zeigte ich auf die schreiende Frau: »Irgendwie
paßt dieses Bild nicht zu den anderen.«
»Für mich ist das ein sehr
wichtiges Bild«, erklärte Mercedes mit hochgezogenen Augenbrauen, »dir gefallen
natürlich Tänzerinnen und Seerosen besser. Mir persönlich ist das, trotz aller
künstlerischen Qualität, heute fast zu oberflächlich.«
Ich hielt die Luft an und sagte
nichts mehr. Keine Frage, sobald Mercedes das Haus verlassen hatte, würde
dieser Kunstkäse genauso verschwinden wie der in Benedikts Zimmer.
Ansonsten war das Zimmer
ähnlich eingerichtet wie Benedikts Zimmer: ein vierteiliger d-c-fix-Schrank,
ein schmales Bett, ein Tischchen. Und eine Stehlampe mit einem Schirm aus
Korbgeflecht, die aussah wie ein umgedrehter Papierkorb auf einer Stange. An
der Decke eine geflochtene Kugel aus Peddigrohr. Mercedes öffnete den Schrank:
»Hier ist Mutters Sammlung untergebracht.«
In jedem Schrankfach lagen
Illustrierte. Ich sah von Illustriertenstapel zu Illustriertenstapel. Manche
Hefte waren jahrealt, andere neu. Was war das für eine Sammlung? Es waren
unterschiedliche Illustrierte — aber auf jedem Titelbild war Grace Kelly
beziehungsweise Gracia von Monaco.
»Mutter sammelt alles über die
verstorbene Fürstin von Monaco.«
»Warum denn das?« Mir war
unerklärlich, wie jemand das Sammelgebiet >Gracia von Monaco< haben kann,
noch dazu eine einundsechzigjährige Lehrerin!
»Mutter hat am 12. November
Geburtstag, genau wie die Fürstin, beide sind typische Skorpion-Frauen.« Mercedes
sah auf ihre klobige Silberuhr mit einem Zifferblatt aus einem braunen
polierten Stein: »Ich muß gehen, mein Herzallerliebster telefoniert sich die
Finger nach mir wund.«
»Also dann, vielen Dank.«
Sie gab mir nicht die Hand, sie
winkte nur kurz mit den Fingern.
Aus dem Fenster vom Bad konnte
ich sie wegfahren sehen. Madame Mercedes fuhr einen biederen Renault.
Ich setzte mich auf das Bett.
Hier saß ich nun: vor mir die schreiende Frau auf der Brücke, hinter mir
hundertfach Fürstin Gracia von Monaco. Plötzlich fragte ich mich, wie mein
Leben weitergehen würde.
»Werde tätig, Viola Faber«,
befahl mir eine innere Stimme, es war die Stimme meines Vaters. Immer hatte er
gepredigt, der >Homo faber< sei der Handwerker, der schaffende Mensch,
der seine Fähigkeiten nutzt, und ich, Viola Faber, solle gefälligst meinem
Namen gerecht werden. »Werde tätig, Viola Faber.« Ich weckte Benedikt. Mit
geschlossenen Augen murmelte er, ich solle alles, alles in den Mülleimer werfen
und ihn bitte, bitte schlafen lassen.
»Du weißt genau, daß das nicht
geht.«
»Doch, ich kann noch schlafen«,
Benedikt zog sich die Decke über den Kopf.
Ich ging zurück ins Zimmer von
Mercedes. Benedikt hatte recht: Wenn das mein Zimmer werden sollte, mußte alles
raus. Ich starrte auf den beigegelben Linoleumfußboden. Es gibt nichts
Schöneres für Innenarchitekten, als Linoleum abzureißen. Was man unter Linoleum
schon alles entdeckt hat: von altrömischen Mosaikböden bis zu Barockparkett mit
Intarsien. Gierig riß ich das Linoleum an einer Ecke hoch — darunter war
tatsächlich Holz! Allerdings nicht gerade Barockparkett. Holzdielen, mit
kackbraunem Lack gestrichen. Betroffen ließ ich das Linoleum sinken.
Aber dann dachte ich: Wenn ich
jeden Tag nur ein kleines Stück vorankomme, werde ich irgendwann fertig sein.
Bis ich bei Onkel Georg anfange, im Oktober oder November, ist mein Zimmer auf
jeden Fall fertig und vielleicht das von Benedikt dazu, und dann würden wir
nach und nach das Spielzimmer zu einem echten Wintergarten umbauen und dann die
Küche... und nächstes Jahr würde hier irgendwo mein Kronleuchter in ganzer
Pracht erstrahlen. Wo, wußte ich allerdings noch nicht, aber Probleme löst man
eines nach dem andern.
Ich ging hinunter in die Küche.
In der Küche war Nora. Lächelnd sagte ich: »Kann ich etwas Zeitungspapier
haben? Ich will die Kunstwerke von Medi einpacken, damit ihnen nichts
passiert.«
»Und ich will
Johannisbeermarmelade machen, Benedikts Lieblingsmarmelade, aber mein Rücken
tut so wahnsinnig weh.« Ich kapierte sofort: »Ich pflücke die Beeren für dich.«
Und ich machte es gern, Beerenpflücken ist eine reizende
Sonntagabendbeschäftigung. Besonders, wenn man mit Benedikt zusammen Beeren
pflückt!
Jetzt ließ er sich gerne
wecken. Nur als er die Johannisbeersträucher sah, sagte er:
Weitere Kostenlose Bücher