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Der Mann, der's wert ist

Der Mann, der's wert ist

Titel: Der Mann, der's wert ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Heller
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Mutterhauses
anzupassen wußte.
    Benedikt wollte nicht mit uns
teetrinken, er verzog sich nach oben in sein Zimmer, er wollte eine
Tennisübertragung sehen. Also saß ich allein zwischen Nora und Mercedes und
versuchte einen guten Eindruck zu machen. Ich lauschte Mercedes: Wie üblich
hatte sie ihr Verehrer mit den teuersten Kleidern überhäuft. Und er bewunderte
ihren instinktiven Pariser Chic. Mercedes seufzte: »Dabei ist mir völlig egal,
was Mode ist.«
    Ich nickte beifällig und
betrachtete dabei unauffällig Mercedes’ engen Rock, an einer Seite geschlitzt,
der Schlitz mit schmalen Plisseefalten unterlegt, Modell >Der letzte Schrei
aus dem Neckermann-Katalog<. Trotzdem wurde ich leicht neidisch, als
Mercedes sagte: »Immer wenn wir im Urlaub sind, gibt er mir für einen Tag seine
Kreditkarte, und da kaufe ich nach Herzenslust ein.«
    Dann erzählte Mercedes über
ihre Kolleginnen in der Firma, sie waren allesamt doof, »Einbildung statt
Bildung«, erklärte sie. Die Männer in der Firma vergötterten Mercedes. Ein
Kollege hatte ihr sogar eine Postkarte aus dem Urlaub geschrieben! »Mein
Herzallerliebster darf auf keinen Fall erfahren, was mit dem Arno läuft«, sagte
sie kokett.
    Ich staunte, wie offen sie mit
ihrer Mutter über ihre Affären sprach.
    »Wenn ich den Arno wieder
treffe, werde ich das kurze Strandkleidchen tragen, das mir mein
Herzallerliebster gekauft hat.« Sie kicherte: »Obwohl es eigentlich unmöglich
ist, ein so kurzes Kleid im Büro zu tragen. Aber alle meine Kollegen sagen, ich
könnte so was tragen, ich mit meinen endlos langen Beinen!«
    »Ja«, sagte ich artig und
betrachtete die Beine von Mercedes. Sie waren so braun wie ein paar Wiener
Würstchen, auch so dünn und wadenlos und meinetwegen auch so endlos. Aber
eigentlich erschienen mir Wiener Würstchen endloser.
    Endlich, um halb sechs, wurde
mein angestrengtes Zuhören belohnt: »Da war doch noch die Sache mit meinem
Zimmer«, sagte Mercedes.
    »Ach so, ja«, ich bemühte mich,
so zu tun, als hätte ich die Sache über ihren Erzählungen vergessen.
    »Allerdings möchte ich meine
Sachen pfleglich behandelt wissen.« Mercedes’ Augenbrauen erreichten den
Höchststand, die Ponygrenze.
    »Selbstverständlich, ich bin
doch Innenarchitektin.« Und um auch was Bedeutendes zu sagen, sagte ich: »Es
ist mir ein Bedürfnis, mich im Wohnbereich mit schönen Dingen zu umgeben.« Dazu
sagte sie nichts. Umständlich brachte sie ihr hundertprozentseidenes Kunstwerk
in die korrekte Position: »Also, gehen wir mal rauf.«
    Ich folgte ihr in gebührendem
Abstand.
    »Es ist ganz was anderes«,
sagte sie auf der Treppe, »ob man im eigenen Haus wohnt oder nur zur Miete.
Mein Hausbesitzer hat gerade wieder die Miete erhöht, die einfachste Wohnung
kostet heutzutage ein Vermögen.« Mercedes drückte die Türklinke runter. »Es ist
abgeschlossen«, stellte sie fest.
    Ich sagte nicht, daß ich das
gewußt hatte.
    Mercedes ging wieder runter.
Ich nutzte die Gelegenheit, um in Benedikts Zimmer reinzuschauen. Er schlief
friedlich. Wartend stellte ich mich neben der Tür meines zukünftigen Zimmers
auf. Es war fast wie damals, als ich zehn Jahre war und mein erstes eigenes
Zimmer bekam.
    Mercedes kam mit dem Schlüssel:
»Mein altes Zimmer strahlt auf mich jedesmal eine so beruhigende Wirkung aus«,
sagte sie und schloß endlich auf.
     
    Zuerst sah ich nur ein Stück
staubgrüne Tapete. Dann hielt ich mir die Hand vor den Mund, fast hätte ich
geschrien vor Schreck: Gegenüber der Tür hing ein Kunstdruck von Edvard Munch —
diese schreiende Frau auf der Brücke, die den Mund so oval aufgerissen hat, als
wollte sie ein Ei hochkant verschlucken! Der Rand der Spanplatte war schwarz
lackiert.
    Dann sah ich die anderen
Kunstdrucke: links neben dem Fenster viermal Tänzerinnen von Degas, die
Spanplattenränder rosa. Darunter von Picasso aus der Blauen Periode ein
armseliges Artistenpaar mit blauem Rand. Seerosen von Monet mit grünem Rand. An
der Wand links über dem Bett zwei Dalis, die zerfließenden Uhren und was mit
Schwämmen und Steinen. Ein kubistisches Stilleben mit Gitarre. Drei
Blumenbilder von van Gogh und sein Selbstporträt mit dem abgeschnittenen Ohr —
das war blutrot umrandet. An der Stirnwand des Zimmers eine russische Ikone,
Madonna mit Kind, gelb umrandet. Und ein Chagall, lila umrandet. An der
gegenüberliegenden Wand nur ein Kunstdruck: eine Fotografie dieser massigen
Skulptur von Rodin, mit diesem affenähnlichen Mann, der seinen

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