Der Mann, der's wert ist
Elisabeths Erfolg berichtete, sagte sie, ohne den Blick vom
Fernseher zu wenden: »Medi meint, es wäre selbstverständlich, daß du die Hälfte
der Telefongrundgebühren trägst.«
»Selbstverständlich«, sagte
ich. Ich ärgerte mich keineswegs darüber. Im Gegenteil: Wenn ich an den
Grundgebühren beteiligt bin, kann ich verlangen, daß im nächsten Telefonbuch
auch mein Name eingetragen wird. So einfach ist das! Und dann spielte ich noch
einen Trumpf aus: Ȇbrigens, Benedikt braucht sowieso ein eigenes Telefon.
Sobald sein Zimmer renoviert ist, werden wir oben einen eigenen Anschluß legen
lassen.« Haha. Wieder ein Schritt weg von Nora!
15. Kapitel
Heimat ohne Freunde ist wie ein
Fotoalbum ohne Bilder, dachte ich an einem blöden Novembertag. Ich stand in
Benedikts Zimmer auf der Leiter und kratzte mit einem Spachtel die blauen und
orange Styroporplatten von der Decke. Sie klebten so zäh, daß entweder eine
Schicht Styroporkügelchen an der Decke blieb, oder der Putz millimeterdick mit
runterging. Eine Arbeit, bei der man sehr lange nachdenken kann. Früher hatte
ich geglaubt, Heimat sei das Land, wo die Leute den gleichen Dialekt sprechen
wie man selbst, jetzt dachte ich, daß Heimat nicht mal so groß ist wie eine
Stadt, vielleicht kleiner als ein Stadtteil. Denn Heimat ist da, wo man Leute
kennt. Ich mußte neue Freunde finden. Aber wie? Wenn Benedikt und ich
samstagabends essen gingen, lernten wir niemand kennen — das wollten wir auch
nicht, wir hatten die ganze Woche keine Chance, uns ohne Nora zu unterhalten.
So kam ich auf die Idee, im
Telefonbuch nach Freundinnen aus meiner frühen Schulzeit zu suchen — ich war
fünfzehn, als wir hier wegzogen — , und ich fand tatsächlich eine: Marion
Droste. Marion erinnerte sich noch an mich und erzählte sofort, sie sei frisch
und glücklich verliebt. In liebevoller Ausführlichkeit berichtete sie, was sie
und ihr Horst auf der ersten gemeinsamen Reise erlebt hatten. Nebenbei erfuhr
ich, daß Marion Marketing-Assistentin in einer Marketing-Firma ist. Zu allen
aus der alten Klasse hatte sie keinen Kontakt mehr, die interessanten Leute
waren weggezogen — sie selbst wäre unlängst auch weggezogen, wäre da nicht
Horst in ihr Liebesleben getreten. Die uninteressanten Leute waren vermutlich
unter unbekannten Namen in der Ehe verschwunden. Nur Lydia Bauernfeind, die
eingebildete Kuh, die immer Klassenstreberin gewesen war, wohnte in der Gegend,
natürlich unliiert. Marion und ich beschlossen, uns unbedingt mit unseren
Männern zu treffen, nur hatte Marion zur Zeit überhaupt keine Zeit, weil ihr
Horst sich als Marketing-Mann selbständig gemacht hatte, und da erledigte sie
ihm die Buchhaltung. Aber irgendwann, nahmen wir uns vor, würden wir uns
bestimmt verabreden.
Langeweile hat ihre eigenen
Gesetze. Obwohl auch ich Lydia Bauernfeind nie hatte leiden können, rief ich
sie an. Vielleicht merkte sie, daß ich sie nur anrief, weil ich nicht wußte,
wen sonst anrufen, jedenfalls lieferte sie mir prompt einen tadellosen
Streber-Lebenslauf. Sie war wissenschaftliche Universitätsassistentin für
Chemie. Demnächst würde sie ihre Doktorarbeit abgeben. Ihr Professor gierte
schon danach. Als ich ihr erzählte, daß ich Innenarchitektin geworden bin und derzeit
unser Haus umgestalte, sagte sie: »Ich bin vollständig ausgefüllt durch meine
Forschung und Lehre.«
Sie stellte keinerlei Fragen,
als ich ihr von Benedikt erzählte, es war klar, daß sie auf diesem Gebiet
nichts zu bieten hatte. Weil sie überhaupt nichts sagte, sagte ich schließlich:
»Dann wünsch ich dir weiterhin viel Erfolg.«
»Und ich dir weiterhin viel
Glück.« Sie legte im gleichen Atemzug auf.
Jawohl, Glück war genau das,
was ich mir wünschte. Und Glück war genau das, was sie nicht hatte. In einem
Leben ohne Liebe gibt es kein Glück.
Benedikt half mir, so gut er
konnte, neue Leute kennenzulernen. Er schlug vor, mit seinem Kollegen Gerhard
Krift auszugehen, der war vor einem Jahr hergezogen und kannte bisher nur Leute
aus seinem Sportverein. Es war Gerhards Idee, gemeinsam in einen alten,
berühmten Szene-Treff zu gehen, ins >Adorno<. Benedikt wollte mit Gerhard
direkt vom Büro hinkommen, aber nicht vor acht. Ich fuhr schon am Nachmittag
mit dem Bus in die Stadt, um ausnahmsweise dem Renovierungsstreß zu entfliehen.
Ich kaufte einen Nagellack, sah mir Wintermäntel an und war schon um sieben im
>Adorno<. Es macht mir nichts aus, allein in eine Kneipe zu
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