Der Mann, der's wert ist
Hause ist, schimpfte weiter auf Frankfurt. Als
aus der Beschallungsanlage zum viertenmal der Sinatra-Song »New York, New York«
dröhnte, sagte er stocksauer: »Ich kann’s nicht mehr hören, es läuft hier
ständig überall, dieses Sehnsuchtslied des Provinzlers.«
Ich schluckte: Auch wenn diese
Stadt vielleicht nicht so toll ist — für mich ist es da am schönsten, wo
Benedikt lebt. Aber allein würde ich hier nicht mehr in eine Kneipe gehen. Und
dank Benedikt hatte ich das nicht nötig.
Meine Lust, Leute
kennenzulernen, war einige Tage später ganz vorbei — ich war in der Einkaufsstraße,
wollte Benedikts Schuhe vom Schuhmacher holen, da sah ich auf der andern
Straßenseite — Lydia Bauernfeind. Ich erkannte sie sofort, obwohl ich sie seit
zehn Jahren nicht gesehen hatte, obwohl sie jetzt Universitätslehrende ist. Ich
hob den Arm, wollte ihr rufen, da sah ich, daß sie eine Lackpapiertüte von Yves
Saint Laurent trug. Man stelle sich vor! Und ich mit einer Plastiktüte vom
Pfennig-Markt. Auf meiner Tüte war aufgedruckt, daß der Pfennig-Markt den
Tierschütz unterstützt und deshalb keine Schildkrötensuppe mehr verkauft — als
hätte mir das was genützt. Ihre Nobel-Papiertüte war sogar ökologisch besser
abbaubar! Ich ließ den Arm sinken, tat, als kratze ich mich am Kopf, als hätte
ich was vergessen, drehte mich um und ging in die andere Richtung. Wieder zu
Hause, wieder auf der Leiter, fragte ich mich, wie es diese Streber-Kuh ohne
Freund zu einer Yves Saint Laurent-Tüte gebracht hat... vermutlich hatte sie
sich nur einen Schal gekauft oder einen spießigen Faltenrock. Bestimmt kein
tolles Abendkleid. Oder doch? Natürlich, man kann sich alles kaufen... nur
Glück nicht.
Ich stieg von der Leiter, ging
ins Bad, betrachtete mich im Spiegel: meine Haare waren staubgrau, ich sah aus
wie eine Putzfrau. Plötzlich dachte ich: »Genügt es, glücklich zu sein, um
gegen eine Yves Saint Laurent-Tüte zu konkurrieren?«
Ich beschloß, mich auch mal
richtig zu verwöhnen, und nahm ein Bad. Mit der doppelten Menge
Fichtennadelschaumbad.
16. Kapitel
Die Wochen des Renovierens sind
aus meinem Gedächtnis verschwunden — der Höhepunkt des Novembers war Benedikts
29. Geburtstag am 8. Weil Schwarz Benedikts Lieblingsfarbe ist, schenkte ich
ihm neunundzwanzig schwarze Päckchen, darin lauter schwarze Sachen, ein
schwarzer Bleistift, schwarze Büroklammern, Zigarillos in einer schwarzen
Blechschachtel, ein Glas Kaviarersatz, Lakritzbonbons, ein Einwegfeuerzeug,
schwarze Socken, einen schwarzen Slip, ein schwarzes Taschentuch, einen
schwarzen Kamm, schwarze Tintenpatronen... und das Hauptgeschenk: einen Füller
im Topdesign! Tage hatte ich mit Einkaufen und Einpacken verbracht, und es
hatte sich gelohnt, Benedikt war so begeistert!
Für den Geburtstagsabend hatte
Benedikt mich und seine Kollegen Herrn Wöltje, Detlef Jacobi und Gerhard Krift
in eine Weinstube in der Nähe des Büros eingeladen. Mein Onkel war nicht
eingeladen, die Kollegen meinten, der Chef komme nur zu runden Geburtstagen.
Aber Angela war immer dabei. Die Kollegen waren darüber nicht glücklich: Wenn
sie dabei ist, kann man nicht über den Chef schimpfen. Benedikt hatte Angela
gefragt, ob sie ihren Freund mitbringen wolle, der sei auf Geschäftsreise,
hatte sie gesagt. Gerhard kam sowieso allein. Detlef Jacobi versprach, seine
Freundin mitzubringen, und Herr Wöltje kündigte als Überraschungsgast Sandy an.
»Wir lieben uns mehr als je zuvor«, hatte Herr Wöltje erzählt. Und »mehr« sei
durchaus auch im quantitativen Sinn zu verstehen.
Um nicht allein in der
Weinstube warten zu müssen, kam ich vorsichtshalber eine halbe Stunde zu spät.
Und alle waren schon da, außer Sandy. Und ich kannte schon alle von Angelas
Geburtstag, außer Detlefs Freundin Tanja. Tanja hat kurze dunkle Haare, einen
teuren Haarschnitt, eine breite Nase, die aber nicht so breit wirkt, weil auch
ihr Mund breit ist. Sie sieht nicht hübsch, aber einwandfrei gut aus. Detlef
stellte Tanja als »Karriere-Bankkauffrau« vor.
Alle waren ziemlich lustig, bis
Tanja Herrn Wöltje fragte: »Sagen Sie mal, was macht denn eine Achtzehnjährige
mit einem Mann in Ihrem Alter?«
»Spinnst du?« zischte ihr
Detlef zu.
»Einmal dürfen Sie raten«,
grinste Herr Wöltje. »Wissen Sie, Frauen sind wie Gemüse, jung und frisch ist
besser als alt und schlaff. Sie essen auch lieber Pfirsiche als Dörrpflaumen.«
»Warum gibt sich dann Ihre
Freundin zufrieden
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