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Der Mann, der's wert ist

Der Mann, der's wert ist

Titel: Der Mann, der's wert ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Heller
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Trotzdem
konnte ich meinen Blick kaum von den Hähnchen wenden, weil ich so hungrig war.
Aber ein halbes Hähnchen war zu teuer für meine derzeitige Situation. Ich
leistete mir eine Portion Pommes frites mit viel Mayonnaise, davon wird man
auch satt.
    Als ich nach Hause fuhr, begann
es zu schneien, zum erstenmal in diesem Winter und gleich wie verrückt. In
unserem Vorort hatte sich die grautrübe Gegend in ein elegantes Areal verwandelt:
Der Schnee verdeckte die braunen und orangeroten Plastik-Ziegeldächer, und die
kleinkrämerischen Gärten wirkten einheitlich weiß wie eine großzügige
Gartenanlage. Alles sah aus wie frisch renoviert. Nur das penetrante Kratzen
von Schneeschippen störte die Illusion der Vollendung.
    Einige Häuser vor unserem Haus
schippte eine Frau. Als ich feststellte, daß sie ungefähr so alt war wie ich,
machte mein Herz einen Hupfer. Diese Nachbarin wollte ich kennenlernen. »Tag,
toller Schnee, oder?« sagte ich hocherfreut und blieb stehen. »Ganz toll,
Laratscheu ist ganz außer sich vor Glück«, sagte die Frau genauso hocherfreut
und zeigte auf ein Kind, etwas kleiner als Solveig, das am Randstein saß und
Schnee zu Häufchen scharrte.
    »Wie heißt sie?« Den Namen
hatte ich nicht verstanden. »L-a-r-a Bindestrich J-o-y. Joy heißt Freude. Weil
mein Kind Freude bedeutet, deshalb.«
    Lara-Joy trug einen
schmutzigen, knallroten Anorak, eine knallgrüne Pudelmütze mit knallgelbem
Bommel und schmutzige, gelbe Fausthandschuhe. Ich beugte mich zu ihr hinunter.
»Hallo, Lara-Joy, ich bin die Viola.«
    Sie hob den Kopf, sie hatte
hellblonde Ponyfransen, und aus ihrer kleinen Stupsnase lief ein Strom von
Rotz. Sie schniefte und sagte: »Allo.«
    »Ist die süß«, sagte ich, »wie
alt ist sie?« Sie sah aus wie ein Kind aus einer Kindermodenreklame. Abgesehen
davon, daß Kinder in der Reklame nie schmutzige Klamotten haben und keine
Rotznasen.
    »Das kann man bei Lara-Joy so
gar nicht sagen, weil sie ihrer Altersgruppe wahnsinnig voraus ist«, sagte
Lara-Joys Mutter und lächelte stolz. »Wie alt ist dein Kind?«
    »Ich hab kein Kind.«
    Ihre Mundwinkel fielen abrupt
nach unten, sie sah mich erschrocken an, ging zu ihrem Kind, nahm es auf den Arm,
als hätte sie Angst, ich Kinderlose wolle Lara-Joy rauben. Das Kind blieb
völlig ruhig.
    »Meine Schwester hat auch eine
Tochter, die ist etwa auch so groß«, sagte ich.
    »Ach so.« Die Angst wich aus
ihrem Gesicht. »Wohnt deine Schwester auch hier?«
    »Nein.«
    »Lebt deine Schwester in einer
Ehe?«
    Ganz wie Annabell sagte ich:
»Gewiß nicht. Paß auf: man muß ja nicht so dumm sein, wegen eines Kindes zu
heiraten.«
    Nun sah sie mich äußerst
wohlwollend an. »Du hast also Erfahrungen mit alleinerzogenen Kindern?«
    »Oh ja.« Plötzlich war ich
froh, Annabell zu kennen. Dann fiel mir wieder ein, daß Annabell meine
Schwester ist und Solveig ein Aas. Trotzdem sagte ich angeberisch: »Meine
Schwester kennt nicht mal den Vater ihres Kindes.«
    Nun war sie echt beeindruckt.
    Nach dem beruflichen Mißerfolg
des Vormittags tat es mir gut, mich in der Glorie meiner Schwester zu sonnen,
herablassend fragte ich: »Kennst du den Vater deines Kindes?«
    »Irgendwie schon. Aber wir
haben schon ewig keinen Kontakt mehr.« Sie küßte Lara-Joy auf den Mund. Und
dann fing sie an, sich in den Hüften zu wiegen. Breitbeinig stand sie da, wie
ein Mann beim Pinkeln. Dann ließ sie ihre Hüften stärker rotieren, wie ein Mann
beim Bumsen. Es war peinlich, ihr zuzusehen, ich sah auf den Boden, scharrte
mit dem Fuß im Schnee und erzählte, daß ich erst vor einigen Monaten mit meinem
Freund hergezogen war und demnächst hier arbeiten würde, und zwar als
Innenarchitektin.
    »Was für ein Sternzeichen bist
du?«
    Ich war so verblüfft, daß ich
erst nachdenken mußte. »Zwilling.«
    »Wir sind Löwen.« Ihr Lächeln
ließ keinen Zweifel: Es war wissenschaftlich bewiesen und jahrhundertealte
Wahrheit, daß Löwe-Geborene etwas Besseres sind als Innenarchitektinnen. Klar,
was ihre Frage bedeutete: Alles, was ich über mein Leben erzählt hatte, war nur
Kompensation für mein mieses Sternzeichen. Sie ließ ihre Hüften noch schneller
rotieren: »Ich hab auch mal angefangen zu studieren, zum Glück hab ich durch
das Kind rechtzeitig gelernt, daß der Theoriescheiß nichts bringt.«
    Ich sagte nur: »Genau das sagt
meine Schwester auch.« — Ich hatte keine Lust, mich für mein abgeschlossenes
Studium zu entschuldigen.
    Sie küßte Lara-Joy wieder auf
den Mund

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