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Der Mann, der's wert ist

Der Mann, der's wert ist

Titel: Der Mann, der's wert ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Heller
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und rief: »Ja, dein Rotz schmeckt lecker.« Und mit dem
allerstrahlendsten Lächeln: »Kinder essen gerne ihren Rotz, weil er süß
schmeckt.«
    Ich versuchte, auch zu lächeln,
obwohl mir ein Würgegefühl hochkam. Um das Gefühl zu verdrängen, griff ich nach
der Schneeschippe, die am Zaun lehnte und kratzte ein bißchen auf dem Boden.
Prompt rutschte mir die Schippe aus der Hand und schepperte zu Boden. Aus
irgendeinem Grund gefiel das Lara-Joy, sie zeigte auf die Schippe und lachte
nett. Ich ließ sie noch mal fallen und noch mal, und Lara-Joy machte begeistert
»bums-bums-bums«.
    »Wahnsinn, sie hat sich genau
gemerkt, daß die Schippe genau dreimal runtergefallen ist!« rief Lara-Joys
Mutter stolz. Und dann sagte sie doch sehr freundlich zu mir: »Wär gut, wenn
sie auf dich steht, hier in der Gegend wohnen sonst nur alte Spießer, die keine
Ahnung haben, wie das Leben als alleinerziehende Mutter ist. Die Alten bei uns
im Haus nehmen keine Rücksicht drauf, daß ich nicht Schneeschippen kann, ich
kann mein Kind nicht stundenlang in der Kälte rumstehen lassen. Also, wenn du
auch in der Straße wohnst, könntest du mal kommen, als Babysitterin. Ich würde
dich auch bezahlen dafür.
    »Ja«, sagte ich froh.
    »Müde«, sagte Lara-Joy.
    »Mein armes Kind! Komm, wir
lassen den blöden Schnee hier liegen und legen uns ins Bett.«
    Ich trug ihr die Schneeschippe
bis zur Haustür. Sie zeigte auf einen Briefkasten. »Das sind wir.« Auf dem
Kasten stand »Lara-Joy und Katharina Hufnagel«. Darunter klebte ein
Atomkraft-nein-danke-Aufkleber.
    »Ich geb dir meine
Telefonnummer.« Ich kritzelte meinen Namen und Telefonnummer auf die Rückseite
eines Kassenbons, den ich in meiner Manteltasche fand.
    »Ich werd mit Lara-Joy über die
Babysitter-Idee reden«, sagte Katharina, »aber jetzt muß sie zuerst das
Schnee-Erlebnis verarbeiten.«
    »Du kannst mich jederzeit
erreichen.« Ich winkte den beiden hinterher.
    Das wäre doch ideal: eine
Freundin in der gleichen Straße. Da kann man sich ohne komplizierte
Verabredungen treffen. Und Lara-Joy war ein viel netteres Kind als Solveig. Als
Babysitter verdient man zwar nicht viel, aber das wäre die Überbrückung für ein
paar Wochen. Und Katharina schien eher tagsüber jemanden zu brauchen, das
deckte sich mit Benedikts Arbeitszeit. — Manchmal liegen die idealen Lösungen
da, wo man sie gar nicht sucht: direkt nebenan.
     
     
     

30. Kapitel
     
    Über Nacht schneite es wieder. Und
natürlich blieb das Schneeschippen an mir hängen — Nora erklärte beim
Frühstück, Schneeschippen sei das größte Vergnügen, und schwärmte von früheren
Zeiten, als Benedikt ihr mit einem kleinen roten Besen dabei geholfen hatte.
Sie konnte es sich nicht verkneifen, anzufügen, daß ich ja sonst nichts zu tun
hätte.
    Ich schippte langsam und in der
Hoffnung, Katharina und Lara-Joy durch das Kratzen meiner Schippe anzulocken.
Aber sie kamen nicht. Auch mittags, als ich einkaufen ging, war vor Katharinas
Haus noch nicht geschippt und nicht gestreut. Ich war in Versuchung, bei ihr zu
klingeln, ließ es dann aber sein, es hätte zu aufdringlich gewirkt.
    Um halb vier wurde meine
Zurückhaltung belohnt: Katharina rief an!
    »Ich bin’s, die Mutter von
Lara-Joy, falls du dich erinnerst.«
    »Klar, Katharina.« Ich war fast
außer mir vor Freude. »Lara-Joy findet die Babysitter-Idee okay.«
    »Super!«
    »Wenn du jetzt Zeit hast,
kannst du gleich vorbeikommen.« Natürlich hatte ich Zeit.
    Sie wohnten im Dachgeschoß. An
ihrer Wohnungstür klebte ein riesiger Atomkraft-nein-danke-Aufkleber. Die
Wohnung bestand aus zwei Zimmern mit schrägen Wänden und einer Kochecke. Alle
Türen waren ausgehängt, sogar die Klotür. Ganz offensichtlich war Katharina
Anhängerin des Großraum-Wohnkonzepts. Klar, wenn man ein kleines Kind hat,
bietet eine Wohnung, die aus einem großen Raum besteht, den Vorteil, daß man
immer beobachten kann, was das Kind tut. Allerdings hat dieses Wohnkonzept auch
einen Nachteil: Wenn nur in einer Ecke Unordnung ist, wirkt der gesamte
Großraum unordentlich. Aber das war in dieser Wohnung nicht das Problem: Hier
war alles unordentlich. In der Kochecke lagen Klamotten auf dem Kühlschrank,
auf dem Tisch im vorderen Zimmer stapelweise schmutziges Geschirr neben einer
Nähmaschine, unterm Tisch ein Kinderrad.
    Wenn es wahr ist, daß die Welt
aus dem Chaos entstanden ist, dachte ich, dann hat sich hier das Chaos
entschieden, eine Wohnung zu werden. Auf den paar Metern zum

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