Der Mann, der's wert ist
zweiten Zimmer
trat ich auf einen Keks, der unter einer Strumpfhose lag. Katharina sagte:
»Wenn man ein Kind hat, müßte man eigentlich den ganzen Tag aufräumen. Aber ich
will Lara-Joy diese rigide Sauberkeitsdressur ersparen.«
Im andern Zimmer ein breites,
zerwühltes Bett mit schönen Bettbezügen, davor ein sehr schicker, sehr großer
Fernseher. Lara-Joy lag nackt im Bett und drückte auf der Fernbedienung herum.
Ich begrüßte sie, als wäre sie mein erstes Enkelkind. Sie lachte nett: »Allo.«
»Welchen Pulli möchtest du
jetzt anziehen?« fragte Katharina. »Lali Pulli«, Lara-Joy schaltete die
Fernsehprogramme weiter. »Lali Pulli? Meinst du den von Oilily? Oder den von
Oma? Oder den von Rich Kid?« Katharina hob einen kleinen grünen Pulli vom
Boden: »Den meint sie nicht. Den will sie nie anziehen.« Sie ließ den Pulli auf
den Boden zurückfallen. Dann hob sie einen Ringelpulli auf, ließ ihn auch
sofort wieder fallen: »Der ist zu dünn, das ist ein Sommerpulli.« Bei zwei
andern fragte sie, ob Lara-Joy die gemeint hätte, aber Lara-Joy schüttelte ihr
blondes Köpfchen und sagte nett: »Lali Pulli.«
Ich hatte Zeit, mich umzusehen.
An den schrägen Wänden klebten ringsum bunte Abdrücke von großen und kleinen
Händen, mal nebeneinander, mal aufeinandergedruckt, in Rot, Orange, Grün und
Neongelb, zweifellos die Hände von Katharina und Lara-Joy. Dazwischen ein
Plakat zu einer Anti-Atomkraft-Demo. Im Gewühl auf dem Boden entdeckte ich
zwischen einer Waage und einem Taschenrechner eine Barbie-Puppe, sie trug ein
Jeanskleid, auf das mit groben Stichen ein Atomkraft-nein-danke-Abzeichen
genäht war.
»Meinst du meinen blauen
Lurex-Pulli?«
»Nein, lali Pulli«, sagte
Lara-Joy unbeirrt.
»Vielleicht meint sie einen
lila Pulli«, sagte ich.
»Ja, lila Pulli«,
sagte Lara-Joy.
»Einen lila Pulli meinst du?«
rief Katharina verblüfft.
»Ja«, sagte Lara-Joy und ich
gleichzeitig, und ich war unheimlich stolz, daß ich Lara-Joys geheime Wünsche
richtig interpretiert hatte.
»Als Baby hattest du einen lila
Pulli, daß du dich daran erinnerst!« Katharina ließ sich vor Erstaunen aufs
Bett plumpsen. »Aber der lila Pulli ist dir schon viel zu klein, du bist doch
schon so groß!« Mit beiden Händen demonstrierte sie den Längenunterschied
zwischen Lara-Joy-Baby und Lara-Joy jetzt. Lara-Joy sah nicht hin, sie fand die
Fernsehnachrichten interessanter. Ich setzte mich neben den Fernseher auf eine Spielzeugkiste.
Sie war stabil, aus bestem Holz, handgearbeitet.
Als wäre es eine Mitteilung,
die für mich noch von größter Bedeutung sein könnte, raunte mir Katharina zu:
»Lara-Joy war bei der Geburt 52 Zentimeter groß und wog 3013 Gramm! Das war ein
Streß, bis ich die raus hatte. Und ich ganz allein.«
»War Lara-Joys Vater nicht bei
der Geburt dabei?«
»Der Arsch war zu feige! Er hat
gesagt, wenn nicht mal meine Mutter mitgeht, dann muß er auch nicht mit. Ihm
würde schlecht, wenn er Blut sieht. Und bei der Geburt würden die meisten
Frauen gleichzeitig scheißen, und das fände er widerlich.«
»Dabei ist es die natürlichste
Sache der Welt«, sagte ich schnell, weil ich nicht wollte, daß sie merkte, daß
auch mich bei der Vorstellung ziemlich ekelte.
»Nur mein Vater war total geil
darauf, bei der Geburt dabeizusein. Aber meine Mutter hat gesagt, falls mein
Vater käme, dann käme sie auf keinen Fall. Meine Eltern sind geschieden und
hassen sich. Also mußte ich meinem Vater absagen, weil ich dachte, es ist
besser, wenn meine Mutter dabei ist, die hat immerhin Geburts-Erfahrung. Und
ich hatte schon die Preßwehen, da kommt eine Schwester und sagt, meine Mutter
hätte angerufen, sie könnte nicht kommen, weil sie nicht wüßte, was man
anzieht, wenn man zu einer Geburt geht. Die hatte doch nur Angst, auf ihr
Escada-Kostüm könnte ein Stück von meinem Mutterkuchen spritzen!« Katharina sah
mich nie an, während sie das erzählte, ihr Blick war immer auf Lara-Joy
fixiert, und Lara-Joy guckte ebenso konzentriert auf den Fernseher.
Um meinen Schreck zu verbergen,
erzählte ich schnell von Solveigs Geburt: »Als meine Schwester ihre Tochter
bekommen hat, war meine Mutter dabei, aber meine Mutter hat ihr die ganze
Geburt versaut. Sie hatte falsche Kassetten für die Videokamera gekauft, und
dann mußte sie als Notbehelf eine Pocketkamera von einer anderen Gebärgruppe
leihen, bei denen es noch nicht soweit war, und meine Mutter hat alle Aufnahmen
verwackelt oder ihren Finger vorm Objektiv.
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