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Der Mann im braunen Anzug

Der Mann im braunen Anzug

Titel: Der Mann im braunen Anzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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der Fälle treffen? Bitte, kommen Sie in Erinnerung an Kabine siebzehn. Der Mann, den Sie als Harry Rayburn kennen.
    Mein Herz hämmerte wild. Er war hier! Oh, ich hatte es ja geahnt!
    Ich wand einen Schal um meinen Kopf und stahl mich hinaus. Es hieß vorsichtig sein, denn er wurde verfolgt, und man durfte mich nicht sehen.
    Vor Suzannes Tür hielt ich kurz inne. Ich hörte ihr ruhiges, gleichmäßiges Atmen; sie schlief fest.
    Sir Eustace? Er war immer noch beim Diktieren; wiederholte Miss Pettigrew seine letzten Worte: «Ich schlage daher vor, dass das Problem der schwarzen Arbeiter…» Sie wartete auf eine Fortsetzung, und gleich darauf brummte Sir Eustace ein paar undeutliche Sätze.
    Ich stahl mich weiter. Colonel Race war nicht in Zimmer, und ich entdeckte ihn auch nicht in der Halle. Und er war der Mann, den ich am meisten fürchtete! Aber ich durfte keine Zeit mehr verlieren. Ungesehen schlüpfte ich aus dem Hotel und schlug den Weg zur Brücke ein.
    Auf der anderen Seite blieb ich stehen und verharrte im Schatten. Wenn mir jemand gefolgt war, so musste ich ihn jetzt auf der Brücke sehen. Doch die Minuten verflossen, niemand näherte sich. Ich war also nicht beobachtet worden. Vorsichtig bewegte ich mich auf die Lichtung zu. Nach wenigen Schritten hörte ich ein Rascheln hinter mir; ich verhielt mich ganz ruhig. Vom Hotel war mir keiner gefolgt, doch jemand wartete bereits hier!
    Und plötzlich wusste ich, dass ich in großer Gefahr war. Es war derselbe Instinkt, der mich auf der Kilmorden gewarnt hatte.
    Ich blickte über meine Schulter. Völlige Stille. Ich tat wieder zwei Schritte – und wieder hörte ich das Rascheln. Im Gehen sah ich nochmals zurück. Aus dem Schatten hob sich die Gestalt eines Mannes ab, doch es war zu dunkel, um ihn zu erkennen. Ich sah nur, dass er groß und ein Weißer sein musste.
    Er merkte, dass ich ihn entdeckt hatte, und sprang direkt auf mich zu. Ich lief um mein Leben; die weißen wiesen mir den Weg. Doch plötzlich trat mein Fuß ins Leere. Ich hörte den Mann hinter mir lachen, ein böses unheilvolles Lachen. Es hallte in meinen Ohren nach, als ich kopfüber in die Tiefe stürzte – tiefer, immer tiefer ins Nichts.

25
     
    Mein Erwachen war langsam und schmerzhaft. Mein Kopf brummte, und scharfe Stiche durchzuckten meinen linken Arm, wenn ich ihn zu bewegen versuchte. Alles erschien mir unwirklich, wie ein böser Traum. Wieder hatte ich das Gefühl zu fallen. Einmal war mir, als beuge sich Harry Rayburn über mich. Dann zerfloss sein Gesicht wieder in der Dunkelheit. Irgendjemand hielt mir eine Schale an den Mund, und ich trank gierig. Ein schwarzes Gesicht grinste mich an wie ein Teufel. Ich schrie laut auf. Dann wieder Träume. Dunkle Fieberträume, in denen ich vergeblich versuchte, Harry Rayburn zu warnen. Wovor? Ich wusste es nicht. Doch rings um ihn lauerte Gefahr, und nur ich allein konnte ihn retten. Wieder zerfloss alles in Dunkelheit, doch diesmal in eine ruhige Zuversicht, und ich schlief ein, tief und fest.
    Endlich kam ich zu mir, der lange Alpdruck war vorbei. Ich erinnerte mich wieder, was geschehen war: Meine Flucht aus dem Hotel, um Harry Rayburn zu treffen, der Mann im Schatten, und dieser letzte, entsetzliche Sturz ins Leere…
    Auf wundersame Weise hatte ich mir nicht den Hals gebrochen. Ich war zerschlagen und sehr müde, aber ich lebte! Doch wo befand ich mich? Mühsam bewegte ich den Kopf und blickte mich um. Ich war in einem kleinen Raum mit rohen Holzwänden, an denen Tierfelle und Elfenbeinzähne hingen. Mein Lager war ebenfalls mit Fellen bedeckt. Mein linker Arm war verbunden. Erst glaubte ich allein im Zimmer zu sein, doch dann entdeckte ich, dass ein Mann zwischen mir und dem Fenster saß. Er drehte mir den Rücken zu und schien unbeweglich wie eine Holzfigur. Sein kurzgeschorener dunkler Kopf kam mir bekannt vor, aber ich wagte es nicht, meiner Einbildung zu trauen. Doch auf einmal wandte er sich um, und ich hielt den Atem an: Es war Harry Rayburn, wirklich und wahrhaftig.
    Er erhob sich und trat neben mein Lager.
    «Fühlen Sie sich jetzt besser?», fragte er etwas verlegen.
    Ich konnte nicht antworten, die Tränen strömten über mein Gesicht.
    «Nicht weinen, Anne! Bitte, nicht weinen. Sie sind in Sicherheit, niemand wird Ihnen etwas tun.»
    Er holte eine Schale und hielt sie mir hin. «Trinken Sie etwas von dieser Milch.»
    Gehorsam trank ich. Er redete weiter, in dem leisen, beruhigenden Ton, mit dem man zu einem Kind

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