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Der Mann im braunen Anzug

Der Mann im braunen Anzug

Titel: Der Mann im braunen Anzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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vollständig richtig gehandelt», sagte ich ruhig, «und ich werde auch niemanden benachrichtigen. Ein paar Tage machen keinen Unterschied mehr aus. Schließlich sind sie alle nur flüchtige Bekannte, selbst Suzanne. Und wer diesen Brief geschrieben hat, der muss sehr viel wissen. Das war nicht das Werk eines Außenstehenden.»
    Ich brachte es fertig, die Worte des Briefs ohne Erröten zu wiederholen.
    «Wenn Sie einen guten Rat von mir annehmen wollen…», sagte er zögernd.
    «Ich bezweifle, dass ich das tun werde», meinte ich aufrichtig, «aber lassen Sie nur hören.»
    «Sie folgen wohl stets Ihrem eigenen Kopf, Miss Beddingfeld?»
    «Meistens», entgegnete ich vorsichtig. Zu jedem anderen Menschen hätte ich gesagt: «Immer!»
    «Ihr Mann kann mir Leid tun», kam es unerwartet zurück.
    «Dazu besteht keine Veranlassung. Ich werde nie heiraten ohne die ganz große Liebe. Und es gibt nichts Schöneres für eine Frau, als alles zu tun für den Mann, den sie liebt. Je eigenwilliger sie sonst ist, desto glücklicher wird sie dabei sein.»
    «Da kann ich Ihnen nicht zustimmen; meistens ist es umgekehrt.» Seine Worte klangen verbittert.
    «Leider!», rief ich eifrig. «Und deshalb sind so viele Ehen unglücklich. Immer sind die Männer daran schuld. Entweder lassen sie ihrer Frau jeden Willen, und dann werden sie von ihr verachtet. Oder sie sind maßlos selbstsüchtig und haben nie ein Wort des Dankes. Kluge Ehemänner wissen ihre Frau so zu leiten, dass sie alle ihre Wünsche erfüllt, und loben sie dann sehr dafür. Frauen ordnen sich gern unter, aber sie möchten wenigstens eine Anerkennung. Außerdem schätzen es die Männer gar nicht, wenn eine Frau immer unterwürfig ist. Wenn ich einmal heiraten sollte, werde ich meinem Mann von Zeit zu Zeit die Hölle heiß machen, damit er danach erkennt, was für ein Engel ich im Grunde bin.»
    Harry lachte hellauf. Dann wandte er sich zur Feuerstelle um.
    «Wollen Sie noch etwas Suppe haben?», fragte er.
    «Ja, bitte. Ich bin hungrig wie ein Nilpferd.»
    «Fein!»
    «Sobald ich aufstehen kann, werde ich für Sie kochen», versprach ich.
    «Sie werden wohl kaum viel davon verstehen.»
    «Ich kann genauso gut die Sachen aus den Büchsen wärmen wie Sie», begehrte ich auf.
    Er lachte wieder. Sein ganzes Gesicht wandelte sich, wenn er lachte. Er wurde kindlich froh, ein völlig neuer Mensch.
    Die Suppe schmeckte herrlich. Während des Essens erinnerte ich ihn daran, dass er mir seinen guten Rat noch schuldete.
    «Richtig! Ich bin der Meinung, Sie sollten sich vorerst hier ganz ruhig verhalten, bis Sie sich gründlich gestärkt haben. Ihre Feinde glauben, dass Sie tot sind. Dass Ihr Körper nicht gefunden wurde, kann sie nicht erstaunt haben. Sie wären auf den Felsen zerschmettert worden, und der Strom hätte Sie mit fortgerissen.»
    Ich erschauderte bei dem Gedanken daran.
    «Sobald Sie wieder bei Kräften sind, können Sie ruhig und unbehelligt nach Beira fahren und dort ein Schiff nach England nehmen.»
    «Nein, so gefügig bin ich nicht!», entgegnete ich wütend.
    «Eigensinnig wie in Kind!» Er schüttelte den Kopf und ging hinaus.
    Meine Genesung machte rasche Fortschritte. Die beiden Verletzungen, die ich davongetragen hatte, waren ein Loch im Kopf und ein verstauchter Arm. Der Arm brauchte länger zur Heilung; zuerst hatte mein Retter geglaubt, er sei gebrochen. Doch eine genaue Untersuchung hatte ergeben, dass dem nicht so war, und obwohl ich immer noch Schmerzen hatte, ging es mir doch von Tag zu Tag besser.
    Es war eine seltsame Zeit. Ich bestand darauf, mit meinem gesunden Arm so gut wie möglich zu kochen. Harry war oft fort, doch dann lagen wir wieder stundenlang im Schatten der Palmen vor der Hütte, plauderten und stritten und versöhnten uns. Wir zankten uns sehr häufig, und doch wuchs zwischen uns eine echte und dauerhafte Freundschaft, wie ich sie nie für möglich gehalten hätte. Freundschaft – und noch etwas anderes.
    Mit Riesenschritten näherte ich mich dem Tag, an dem ich kräftig genug sein würde, um fortzugehen. Der Gedanke daran machte mir das Herz schwer. Würde er mich wirklich ziehen lassen? Ohne ein Wort, ohne ein Zeichen? Manchmal hatte er schweigsame Phasen, manchmal Momente, in denen er aufsprang und einfach davonlief. Und eines Abends kam die Krisis. Wir hatten unser einfaches Mahl beendet und saßen auf der Schwelle der Hütte. Die Sonne sank bereits.
    Haarnadeln gehörten zu den Dingen, die mir Harry nicht verschaffen konnte; mein

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