Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition)

Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition)

Titel: Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sloan Wilson
Vom Netzwerk:
Menge halbgarer Ehen und Scheidungen erleben, und wenn du dann dreißig bist, wirst du feststellen, dass du keinerlei Möglichkeit mehr siehst, Spaß am Leben zu haben. Vieles davon ist meine Schuld, aber ich habe nicht vor, jetzt näher darauf einzugehen. Ich versuche hier, dir und auch mir zu helfen. Das ist ebenso mein Problem wie deines, und ich beabsichtige, etwas daran zu ändern. Ich bitte dich um Hilfe.«
    Sie starrte ihn einen Augenblick an. »Warum machst du das?«, fragte sie schließlich. »Warum auf einmal diese langen Reden?«
    »Weil du meine Tochter bist«, sagte er. Das klang seltsam unzulänglich, und unbeholfen setzte er noch hinzu: »Weil ich dich liebe.«
    »Das stimmt doch gar nicht!«, rief sie aus. »Was bist du nur für ein Heuchler! Seit meiner Geburt hast du dich kaum um mich gekümmert!«
    Ihre Vehemenz schockierte ihn. »Die Menschen lieben auf unterschiedliche Weise«, sagte er.
    »Warum kannst du nicht ehrlich sein? Du liebst mich nicht, und Mutter liebst du auch nicht. Ehrlich gesagt, ich glaube nicht, dass du überhaupt jemanden liebst – ich glaube nicht, dass du jemanden auf der ganzen Welt liebst! Und so will ich nicht sein!«
    Bevor er noch etwas sagen konnte, stand sie auf, rannte aus der Wohnung und knallte die Tür hinter sich zu. »Susie!«, rief er, dann stand er auf und lief ihr nach. » Das stimmt nicht !«
    Hektisch klingelte sie nach dem Fahrstuhl. Er stand in seiner Wohnungstür und sagte: »Komm zurück und setz dich hin. Seien wir doch vernünftig.«
    »Ich will aber nicht vernünftig sein«, erwiderte sie. »Du und Mutter, ihr wart euer ganzes Leben lang vernünftig. Ich versuche es anders.«
    Bevor er noch antworten konnte, glitt die Fahrstuhltür auf und gab den Blick auf das ruhige, unnahbare Gesicht der jungen Frau frei, die ihn bediente. »Abwärts«, sagte sie. Susan trat in den Fahrstuhl, dann rumpelten die Türen hinter ihr zu. Hopkins blieb allein zurück.

31
    Edward Schultz ging die Treppe zu Richter Saul Bernsteins Büro hinauf. Über der Uniform trug er einen schäbigen Regenmantel. Seine Uniformen waren ihm stets von seiner Arbeitgeberin gestellt worden, und jahrelang hatte er sich geweigert, sich für seine freien Tage einen Anzug zu kaufen. Forsch und ohne anzuklopfen schritt er in Bernsteins Büro, wo er einen Augenblick lang einen Mann anstarrte, der da im Rollstuhl saß. Dann wandte er sich Bernstein zu, der an seinem Schreibtisch saß. »Sie wollten mich sprechen?«, fragte er grob.
    »Ja«, sagte Bernstein ruhig. »Setzen Sie sich, Mr Schultz.«
    Edward blieb stehen. »Wer ist das?«, fragte er und zeigte mit dem Daumen auf den Mann im Rollstuhl.
    »Das ist Mr Sims, Mr Raths Anwalt«, sagte Bernstein. »Setzen Sie sich doch, Mr Schultz. Wir möchten einige Dinge mit Ihnen besprechen.«
    »Warum ist mein Anwalt nicht hier?«
    »Das ist keine Gerichtsverhandlung, und es steht Ihnen jederzeit frei, Ihren Anwalt zu rufen«, sagte Bernstein. »Ich schlage vor, dass Sie sich erst anhören, was wir zu sagen haben.«
    »Wir möchten Ihnen einen Gefallen tun«, sagte Sims eisig.
    »Einen Gefallen? Was denn für einen Gefallen?«
    »Wir glauben, wir können Ihnen Geld sparen.«
    Edward setzte sich auf den nächsten Stuhl. »Wie meinen Sie das?«, fragte er.
    »Wir möchten Ihnen einen Eindruck der Anhörung zu dem von Mrs Rath unterzeichneten Dokument geben, das Sie eingereicht haben«, sagte Sims ruhig. »Wir glauben, das könnte Ihnen Geld sparen – viel Geld.«
    »Sie hat es unterschrieben!«, sagte Edward.
    »Das wissen wir«, erwiderte Sims. »Durch einen merkwürdigen Zufall hat sie niemandem davon erzählt, und es gibt auch keine Zeugen für ihre Unterschrift. Wissen Sie, warum das Gesetz ganz allgemein Zeugen für eine Unterschrift verlangt?«
    »Aber nicht immer!«, sagte Edward. »Ich habe gelesen, dass jedes Dokument als Testament betrachtet werden kann, wenn es nach Meinung des Gerichts die Absicht des Verstorbenen darstellt.« Er sprach mit monotoner Stimme.
    »Das stimmt«, erwiderte Sims ernst. »Aber gemeinhin gibt es sogar für Formalien im Gesetz einen Grund. Der Grund, dass für eine Unterschrift im allgemeinen Zeugen verlangt werden, ist der, dass es theoretisch – ich sage ausdrücklich: theoretisch – möglich wäre, dass ein Mann eine alte Dame dazu bringen könnte, etwas zu unterschreiben, ohne dass sie es weiß. Ich sage ausdrücklich nicht, dass das in diesem Fall geschehen ist – ich sage nur, dass es theoretisch möglich

Weitere Kostenlose Bücher