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Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition)

Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition)

Titel: Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sloan Wilson
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gehen könnten. Er spürte, wie der alte doppelte, widersprüchliche Zorn in ihm aufstieg, die vertraute Wut auf seine Großmutter, dass sie Geld zum Fenster hinauswarf, das einmal ihm gehören sollte, und der damit einhergehende Ekel vor sich selbst, dass er nach dem Geld einer alten Dame gierte. Er versuchte, die Dankbarkeit zu empfinden, die dem Menschen, der ihn aufgezogen, für seine Ausbildung gezahlt und ihn freundlich und liebevoll behandelt hatte, schließlich gebührte.
    »Sie ist selbstsüchtig, aber das könnte ich ihr verzeihen«, hatte seine Mutter einmal, wie er sich erinnerte, über die alte Dame gesagt. »Was ich ihr nicht verzeihen kann, sind ihre Arroganz und die bewussten Heucheleien, die sie ihrem Sohn und jedem um sie herum angetan hat. Der arme Steve wurde mit Lügen großgezogen …«
    Das hatte seine Mutter aber nicht zu ihm gesagt, sondern zu einem Pfarrer, der sie nach dem Tod ihres Mannes recht häufig besuchte, und als der Pfarrer merkte, dass Tom, der da erst zwölf war, ins Zimmer gekommen war, hatte er rasch gesagt: »Pst – der Junge ist da. Wie geht’s dir, Tom? Du kommst ja schon bald auf die Highschool!«
    Nun fragte Tom sich, ob er versuchen sollte, mit dem Anwalt der alten Dame zusammenzuarbeiten, um zu klären, was von ihrem Besitz überhaupt noch übrig war. Als er aus dem Krieg nach Hause gekommen war, hatte er seine Großmutter nach ausgiebiger Überprüfung seiner Beweggründe gefragt, ob er ihr helfen könne, ihre Angelegenheiten zu regeln, und das hatte sie abrupt abgelehnt. In all den Jahren, in denen er bei ihr gewohnt hatte, hatte sie nie von Geld gesprochen, außer um zu sagen, dass es keine Rolle spiele, dass es schrecklich langweilig sei.
    »Wenn du Hilfe brauchst, sag Bescheid«, sagte er nun. »Ich finde es nicht klug, dass du Kredite aufnimmst – vielleicht gibt es ja Wege, das zu umgehen.«
    »Die Bank war sehr hilfsbereit«, sagte sie. »Ich habe nicht mehr viele Jahre zu leben, und ich glaube, der Anwalt hat gut dafür gesorgt, dass man sich einmal ganz hübsch meiner annimmt. Das Wichtigste ist, dass dieses Haus für dich und Betsy in Ordnung bleibt.«
    »Ich habe Zweifel, ob wir uns so ein Haus überhaupt leisten können«, sagte er. »Heutzutage können das nicht viele.«
    »Unsinn!«, entgegnete sie. »Du gehst doch in die Wirtschaft, nicht? Vielleicht kannst du es ja noch aufwerten. Der Senator wollte immer noch einen Flügel an der Südseite anbauen. Komm, ich zeige dir, wo.«
    Sie ging verblüffend flink und deutete mit ihrem Stock auf die Stelle, wo der Billardraum und ein Wintergarten für die Orchideenzucht hinsollten.
    Eigentlich lebte er in vier grundverschiedenen Welten, die durch nichts miteinander verbunden waren, sinnierte Tom, als er in dem alten Ford zurück nach Westport fuhr. Da war die verrückte, von Gespenstern heimgesuchte Welt seiner Großmutter und seiner toten Eltern. Da war die isolierte Welt, in der er Fallschirmjäger gewesen war, an die er sich möglichst nicht erinnerte. Da war die sachliche, mit opaken Glasbausteinen unterteilte Welt der United Broadcasting Corporation und der Schanenhauser-Stiftung. Und dann die gänzlich abgetrennte Welt, in der Betsy und Janey, Barbara und Pete lebten, die einzige der vier, die mehr als einen Pfifferling wert war. Auf irgendeine Weise mussten die vier Welten doch verbunden sein, dachte er, aber es war einfacher, sie als völlig getrennt voneinander zu betrachten.

5
    Am folgenden Dienstag verließ Tom um halb elf die Schanenhauser-Stiftung, um zu seinem Termin bei Walker zu gehen. Er brauchte keine Entschuldigung zu nennen, um seinen Schreibtisch zu verlassen, dennoch hatte er leise Schuldgefühle, als er seiner Sekretärin sagte, vor Mittag werde er wahrscheinlich nicht zurück sein. Er ging rasch die Fifth Avenue hinauf und überquerte die Rockefeller Plaza und war dabei so in Gedanken versunken, dass er die Leute, an denen er vorbeikam, kaum wahrnahm. Als er das United-Broadcasting-Gebäude betrat, wies ihn ein Pförtner mit einer pompösen, silbern verzierten Mütze in einen der wartenden goldfarbenen Fahrstühle.
    »Stockwerk, bitte?«, sagte der Fahrstuhlführer. Er hatte eine tiefe Stimme mit leicht italienischem Einschlag. Tom sah ihn flüchtig an. Der Mann trug eine pflaumenblaue Uniform und drehte ihm den Rücken zu. Er war stämmig und hatte einen dunklen Teint, war ungefähr dreißig Jahre alt und hatte dunkle Haare, die nur teilweise von einem pflaumenblauen Käppi bedeckt

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