Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition)
Schreibtisch. »Wie Sie vermutlich wissen, sind Sie der Alleinerbe.«
»Das hat sie mir gesagt«, sagte Tom.
»Und vermutlich wissen Sie auch, dass in dem Nachlass nicht viel liegt.«
»Wie viel?«
»Das wird Sie vielleicht schockieren, aber wenn der Nachlass vollständig geregelt ist, werden Sie wohl nicht viel mehr als das Haus haben. Natürlich gibt es einige Wertpapiere, aber auf dem Haus liegt ein Kredit, und dann kommt noch die Erbschaftssteuer. Und vermutlich möchten Sie auch etwas bezüglich Edward tun.«
»Das wird man sehen«, sagte Tom. »Aber wie viel sind die Wertpapiere denn wert?«
»Ich habe jetzt nicht den neuesten Marktwert geprüft, aber es werden wohl ungefähr zwanzigtausend Dollar sein. Viel mehr nicht. Hätte Ihre Großmutter noch einige Jahre gelebt, weiß ich nicht, was wir getan hätten.«
»Und der Baukredit? Wie hoch ist der?«
»Zehntausend Dollar.«
»Das verstehe ich nicht!«, brach es aus Tom heraus. »Haben Sie denn eine Ahnung, wie viel Großmutter von ihrem Vater und von Großvater geerbt hat und wie sie es geschafft hat, es zu verlieren?«
»Was hat sie Ihnen denn gesagt?«
»Nichts!«
»Aber Sie wussten, dass sie eine Menge verloren hat.«
»Das hat sie mir kurz vor ihrem Tod gesagt, und ich habe es wohl auch vermutet, so wie sie haushalten musste.«
Sims seufzte. »Was wissen Sie über Ihren Vater?«, fragte er.
»Was war er für ein Mann?«
»Er war großartig«, sagte Sims. »Er war wohl der reizendste, begabteste Mann, der je geboren wurde. Deshalb wünschte ich ja, Sie hätten ihn gekannt – Sie wären stolz auf ihn.«
»Was ist mit ihm passiert?«
»Ich weiß es nicht – was mit Leuten passiert, ist schwer zu erklären. Wir waren zusammen am College, Steve konnte alles. Während der ersten Wochen, die wir in Übersee waren, war er der beste Offizier, den ich je erlebt habe. Er war der Letzte, bei dem ich einen Nervenzusammenbruch erwartet hätte, aber so kam es. Damals nannten wir solche Leute Kriegszitterer. Er wurde nach Hause geschickt, und nachdem er ein paar Monate im Krankenhaus gelegen hatte, bekam er eine Stelle bei Irvington and Wells – das war damals so ziemlich die beste Maklerfirma am Ort. Dort bemühte er sich ungeheuer – ich dürfte wohl einer der wenigen sein, die wirklich wissen, wie sehr er sich bemühte und wie sehr er Erfolg haben wollte –, aber es ging ihm nicht gut. Er konnte sich auf nichts konzentrieren, und manchmal wurde er bei Besprechungen so nervös, dass er aufstehen und den Raum verlassen musste. Der alte Wells liebte ihn wie einen Sohn – jeder liebte Ihren Vater –, aber dann musste er ihn doch bitten, eine Zeitlang auszusetzen, um wieder Ruhe zu finden. Da war Ihr Vater gerade ein paar Monate verheiratet, und es war ein schwerer Schlag für ihn. Er und Ihre Mutter wohnten bei Ihrer Großmutter, und das Nichtstun tat ihm nicht gut. Er fragte Ihre Großmutter, ob er ihren Besitz verwalten könne, und Ihre Großmutter glaubte, es wäre gut für sein Selbstvertrauen, wenn sie es ihn versuchen ließe. Er machte einige schlimme Fehler – die jedem mal passieren können. Ihre Großmutter war geduldig, aber er bekam Panik – er war entschlossen, alles, was er verloren hatte, wiederzubekommen. Er machte riskante Spekulationen mit Aktien und verlor immer mehr. Ich versuchte, vernünftig mit ihm zu reden, aber offenbar war es für ihn eine Sache auf Leben und Tod, all das Geld, das er verloren hatte, wieder zurückzubekommen. Ich besprach es mit Ihrer Großmutter, und so entschied sie schließlich, ihm das, was von ihrem Besitz noch übrig war, aus der Hand zu nehmen. An dem Abend, als sie es ihm sagte, fuhr er los und kam um.«
»War es Selbstmord?«
»Ich weiß es nicht. Er hinterließ keinen Abschiedsbrief. Als wir uns seine Unterlagen ansahen, stellten wir fest, dass er kurz davor eine Lebensversicherung abgeschlossen hatte, die eine Selbstmordklausel enthielt. Die Versicherung zahlte. Auch stellten wir fest, dass seine Verluste noch höher waren, als wir wussten. Vier Fünftel des Besitzes Ihrer Großmutter waren weg.«
Sims machte eine Pause. »1928 gelang es mir, den Besitz deutlich zu vergrößern, und wir hatten das Glück, vor dem Börsenkrach herauszukommen«, fuhr er fort. »Allerdings muss ich zugeben, dass ich Ihre Großmutter nie dazu bewegen konnte, ein sparsames Leben zu führen – sie fand immer, sie habe das Recht auf einen gewissen Lebensstandard, und sie wollte ihn beibehalten, solange sie
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