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Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition)

Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition)

Titel: Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sloan Wilson
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mitzuteilen, die alte Dame sei gestorben, sagte Tom sehr leise: »Danke, dass Sie angerufen haben«, und legte den Hörer ganz sorgfältig auf die Gabel.
    »Was ist?«, fragte Betsy.
    »Großmutter ist tot«, sagte er.
    Er ging in die Küche und machte sich einen Drink. Er war müde – an den letzten acht Abenden war er nicht vor Mitternacht ins Bett gekommen, und auch dann hatte er nicht schlafen können. Alles schien so ungewiss. Von United Broadcasting hatte er kein Wort gehört. Er hatte keine Ahnung, ob seine Großmutter wenigstens so viel Geld hinterlassen hatte, um ihre Schulden zu begleichen. Im Krankenhaus hatte er sie nach dem Namen ihres Anwalts gefragt, aber das hatte sie offenbar gekränkt.
    »Warte«, hatte sie gesagt. »Ich sage es dir, wenn es so weit ist.«
    Und am Nachmittag, bevor sie starb, hatte sie ihn ihm dann gesagt. Der Anwalt hieß Alfred J. Sims, ein Name, den Tom in seinem ganzen Leben nicht gehört hatte.
    Tom machte sich nun Gedanken darüber, dass da ein großes Haus war mit einem alten Mann darin, der sein halbes Leben lang für seine Großmutter gearbeitet hatte und jetzt vermutlich eine Rente von ihm erwartete. Ihn beunruhigte, dass Hopkins sich entscheiden könnte, ihn doch nicht einzustellen, und dass Dick Haver wegen der ganzen Situation zunehmend ungeduldig wurde, machte ihm Sorgen. Jeden Tag fragte ihn Dick, ob er etwas von United Broadcasting gehört habe – er schien ein sarkastisches Vergnügen daran zu finden. Und über diese Sorgen hinaus blickte Tom auf wachsende kleine Schulden. Mrs Manters Lohn, die Anzahlung für eine neue Waschmaschine und die tägliche Taxirechnung hatten sein verfügbares Bargeld aufgesogen, und er ließ so viel anschreiben, wie er konnte, von Lebensmitteln bis zu Medikamenten. Bald würden auch noch Großmutters Krankenhausrechnung und die Kosten für die Bestattung kommen. Er fragte sich, wie lang es wohl dauern würde, ihren Nachlass zu regeln.
    »Komisch, dass sie dir vorher nie gesagt hat, wer ihr Anwalt ist«, meinte Betsy.
    »Sie hat nie über Geschäftliches gesprochen.«
    »Findest du nicht, du solltest dir von dem Anwalt eine komplette Abrechnung geben lassen? Ich meine eine Abrechnung für das ganze Geld, das sie verloren hat – ich finde es doch sehr seltsam, dass sie so viel verloren hat. Womöglich hat der Anwalt sie jahrelang betrogen.«
    »Ich besorge mir eine komplette Abrechnung«, sagte er.
    In jener Nacht schlief er fast nicht. Am Morgen rief er Sims an, der anscheinend nur eine Wohnung in New York und keine Kanzlei hatte. Die Stimme des Anwalts war hoch und hatte einen ausgeprägten Bostoner Akzent. »Ich habe schon erwartet, von Ihnen zu hören«, sagte er. »Der Tod Ihrer Großmutter war für mich ein schwerer Schock. Ihre Papiere sind alle in Ordnung, und ich glaube nicht, dass Sie sich auf Schwierigkeiten einrichten müssen.«
    Sims’ Haus war ein Brownstone-Bau in der Fifty-third Street. Nachdem er Dick Haver gesagt hatte, er werde wegen des Todes seiner Großmutter den ganzen Tag weg sein, fuhr Tom mit dem Taxi hin. Ein uniformiertes Dienstmädchen öffnete und geleitete ihn in ein matt erhelltes und mit Büchern gesäumtes Arbeitszimmer. Sims, ein hagerer Mann um die sechzig, saß auf einem Rollstuhl hinter einem mit Papieren übersäten Schreibtisch.
    »Ich freue mich, Sie zu sehen, Tom«, sagte er. »Entschuldigen Sie, dass ich nicht aufstehe. Und entschuldigen Sie, dass ich Sie mit Vornamen anrede – ich kenne Ihre Familie schon zu lange, um etwas anderes zu sagen.«
    »Freut mich, Sie kennenzulernen«, antwortete Tom.
    »Ihre Großmutter war eine großartige Frau«, sagte Sims. »Sie ist die Letzte ihrer Art.«
    »Ja«, erwiderte Tom abwesend. Er schaute auf die Fotografie eines jungen Mannes, die ziemlich verblasst war und die, dessen war er sich sicher, seinen Vater zeigte. Sie stand in einem Lederrahmen auf Sims’ Schreibtisch.
    »Sie erkennen das Bild?«
    »Mein Vater?«
    »Natürlich. Ihr Vater und ich waren gut befreundet. Wir waren Kommilitonen und zusammen in Frankreich.«
    »Das Bild habe ich noch nie gesehen«, sagte Tom. Er nahm den Rahmen und betrachtete das Foto genauer. Es zeigte einen Mann, der fünf, sechs Jahre jünger als er selbst war. Der Mann trug eine Tweed-Mütze, und er lächelte jungenhaft. Tom stellte das Foto wieder hin. Irgendwo hinten in der Wohnung schlug eine Uhr die Viertelstunde.
    »Nun zum Nachlass Ihrer Großmutter«, sagte Sims und nahm einen Ordner mit blauem Deckel vom

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