Der Mann im grauen Flanell: Roman (German Edition)
Pendlerticket.
»Wir fahren nicht bis Westport«, sagte der Schaffner.
»Ich steige schon in South Bay aus.«
»Westport-Fahrscheine gelten in diesem Zug nicht«, sagte der Schaffner. »Sie müssen einen nach South Bay kaufen.«
»Aber South Bay liegt doch auf dem Weg nach Westport«, wandte Tom ein.
»Ich habe die Vorschriften nicht gemacht«, sagte der Schaffner.
Tom bezahlte für eine Fahrkarte nach South Bay. Die ganze verdammte Welt ist verrückt geworden, dachte er. Großmutter ist verletzt und stirbt womöglich, sie hat mich großgezogen, und ich sollte nur die freundlichsten Dinge über sie denken, und ich kann es nicht.
Sie stirbt, dachte er. Dreiundneunzig Jahre hat sie gelebt, und alles war eine einzige Vergnügungsfahrt. Kein einziges Essen hat sie gekocht, kein Bett gemacht, keine Windel gewaschen und auch sonst verdammt nichts für sich oder andere getan. Sie hat mindestens drei Millionen Dollar ausgegeben, und ihr Kommentar dazu war, dass Geld langweilig ist. Dreiundneunzig Jahre lang hat sie zu ihrem Vergnügen gelebt, und verdammt will ich sein, wenn ich an deren Ende weine.
Doch zu seiner Überraschung war ihm jetzt doch nach Weinen zumute. Sie will nicht sterben, dachte er, ich wette, die arme alte Dame hat Angst.
Plötzlich fiel ihm ein Abend kurz nach dem Tod seiner Mutter ein, als eine besonders heftige Gewitterbö das alte Haus erschütterte. Obwohl schon fünfzehn Jahre alt, hatte er sich gefürchtet, allein in seinem Zimmer zu bleiben. Er war zu seiner Großmutter gegangen, und die hatte dann mit ihm die halbe Nacht Doppelpatience gespielt. Wenn sie es möchte, dachte er, bleibe ich bei ihr. Betsy kommt ein paar Tage wohl auch ohne mich zurecht.
Als er vor der Haustür des großen Baus aus dem Taxi stieg, öffnete ihm der alte Edward. »Der Arzt ist im Wohnzimmer, Mr Rath«, sagte er. »Er hoffte, Sie noch zu sprechen, bevor er geht.«
»Sagen Sie ihm, er soll warten«, sagte Tom und lief die Treppe hinauf zu seiner Großmutter. Die Tür ihres Zimmers war zu. Sachte öffnete er sie, um sie nicht zu wecken, falls sie schlief. Da stand ihr großes Himmelbett mit dem altmodischen, gehäkelten Baldachin. Die alte Dame lag exakt mitten im Bett, mit Kissen abgestützt. Sie schaute aus dem Fenster auf den Sund, wo in der Ferne eine Flotte kleiner Segelboote um die Wette fuhr. Sie drehte rasch den Kopf und lächelte ihn an. »Ich freue mich, dass du da bist«, sagte sie. »Die wollen mich ins Krankenhaus schaffen.«
»Ich rede mit ihnen«, sagte er.
»Mein Bein ist gebrochen. Ich bin nicht gestürzt und habe es mir dann gebrochen – es ist einfach so gebrochen, und dann bin ich gestürzt.«
»Das tut mir leid, Großmutter«, sagte er. »Wir kriegen dich ganz schnell wieder auf die Beine.«
»Mach dich nicht lächerlich«, sagte sie. »Ich werde sterben, und ich möchte lieber hier sterben. Ich verabscheue Krankenhäuser.«
»Ich rede mit dem Arzt«, sagte er.
»Lass nur. Ich möchte, dass du dafür sorgst, dass sie mich nicht ins Krankenhaus bringen. Ständig geben sie mir Medikamente, und ich möchte nicht in irgendeinem Eisenbett aufwachen und ein Haufen hochnäsiger Schwestern sagt mir, was ich zu tun habe.«
»Ich tue, was ich kann«, sagte Tom.
»Der Senator ist in diesem Bett gestorben, und ich möchte auch darin sterben.«
»Ich rede jetzt gleich mit dem Arzt«, sagte Tom.
»Bleib hier. Das hat noch viel Zeit. Ich möchte dir noch viele Dinge sagen, und ich könnte eingeschlafen sein, wenn du wieder hochkommst. Weißt du, dass ich alles, was ich besitze, dir hinterlassen werde?«
»Das wusste ich nicht, Großmutter«, sagte er. »Ich bin dir sehr dankbar.«
»Viel ist es nicht«, sagte sie. »Während der letzten zehn Jahre habe ich vom Kapital gelebt. Und dann noch der kleine Kredit auf das Haus. Viel wirst du nicht bekommen.«
»Jetzt versuch zu schlafen«, sagte er. »Über diese Dinge können wir auch noch später sprechen.«
»Vielleicht bringen wir es lieber gleich jetzt hinter uns. Wusstest du, dass der Großteil des Besitzes deines Großvaters schon vor langer Zeit verloren war?«
»Ja, Großmutter.«
»Woher wusstest du das?«
»Wahrscheinlich hast du es mir gesagt. Ich glaube, ich habe es schon immer gewusst.«
»Es tut mir leid, dass es so gekommen ist«, sagte sie. »Der Senator und ich hatten so viel. Es hat mir immer leidgetan, dass wir nicht mehr für dich tun konnten.«
»Ihr habt mir eine ganze Menge gegeben«, sagte er.
Es folgte eine lange
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