Der Mann im Park: Roman (German Edition)
hatte den Tisch gedeckt. Stierna setzte sich.
Sie aßen schweigend.
Die Uhr schlug vier. John Stierna blätterte gedankenverloren in einem Handbuch für Kriminaltechnik von Anfang der 30er-Jahre. Aus dem Museumssaal war Gösta Bergs klare Stimme zu vernehmen.
Stierna legte das Buch hin und stand auf. Er nahm seinen Stock, seine Tasche und seine Jacke und ging hinaus in den Saal. Hier war Berg vor einem plumpen Destillierapparat stehen geblieben; die Studenten aus Uppsala hörten ihm interessiert zu.
Stierna ging langsam durch den Saal. Er blieb stehen, hob die rechte Hand und winkte Gösta Berg kurz zu.
Draußen auf der Straße schien die Sonne.
Er ging die Bergsgatan hinunter. Dann bog er ab in die Polhemsgatan und ging den Kronoberget hinauf. Ein alter Mann führte seinen struppigen Dackel auf einer der Rasenflächen aus. Weiter unten lärmten einige kleinere Kinder am Planschbecken.
Stierna ging zum Fridhemsplan, um dort auf die Straßenbahn zu warten. Wie üblich war sie einige Minuten verspätet, aber das machte ihm nichts aus. Er hatte es nicht eilig. Und er musste vorsichtig gehen. Wenn er zu schnell lief, bekam er Rückenschmerzen.
Er schaute zum Eingang zur Untergrundbahn, die es jetzt seit ein paar Jahren gab. Aber Stierna nahm trotzdem fast immer lieber die Straßenbahn, nur einmal war er mit ihr gefahren, der Untergrundbahn, die ganz bis nach Vällingby fuhr. Die neue Stadt, die erste der AWE-Vororte. Arbeiten. Wohnen. Einkaufen. In Vällingby sollte man arbeiten, wohnen und einkaufen können, ohne erst in die Innenstadt fahren zu müssen. Ohne etwas anderes sehen zu müssen. Vällingby Zentrum war noch nicht eingeweiht, aber Stierna hatte bereits Skizzen der langweiligen Bauten gesehen. In erster Linie hatte er die Probleme dort gesehen, nicht die Chancen. Damals, als er die U-Bahn genommen hatte, war er nur bis Alvik gefahren, er hatte nichts draußen in Vällingby zu erledigen.
Die Straßenbahn kam. Stierna setzte sich ganz nach hinten. Er öffnete seine Aktentasche und holte die Dagens Nyheter heraus. Warf einen Blick auf die Titelseite. Wieder gab es Unruhen in Ostberlin. Alkohol sollte, wie es hieß, in Schweden »auf Probe frei verkäuflich sein«. Bald würde das Einkaufsbuch nur noch eine Erinnerung sein. Er wusste, was das mit sich führen würde: mehr Betrunkene, mehr Streitereien.
In New York hatten besorgte Eltern die Gesundheitsbehörde gestürmt, nachdem die Polioimpfstoffe streng rationiert worden waren.
Am Södermalmstorg stieg Stierna aus. Das tat er fast immer, denn der Spaziergang von gut einer Viertelstunde heim in die Södermannagatan tat ihm gut. Zumindest bildete er sich das ein.
Wenige Minuten später stand er vor seinem Haus. Er öffnete die braune Holztür und trat ein. Der Flur wirkte düster, als er aus dem Sonnenschein eintrat.
Die Wohnung war fast leer. Er hatte das meiste verkauft oder weggegeben. In der Küche standen nur noch Herd und Kühlschrank. Die Vorratskammer war leer, das Geschirr verkauft. Es war mehr wert gewesen, als er gedacht hatte.
Stierna ging an dem Raum vorbei, der sein Arbeitszimmer und vor langer, langer Zeit einmal das Spielzimmer für ihn und seinen Bruder gewesen war, und betrat das größte Zimmer der Wohnung. Auf dem Boden standen zwei Taschen. Sie enthielten in erster Linie Kleidung, aber auch ein paar Bücher, die ihm viel bedeuteten.
Die Wohnung würde in der Familie bleiben, das machte es ihm um einiges leichter, sie zu verlassen. In der kommenden Woche würde sein Bruder Erik mit seiner Frau Maud einziehen. Ohne ihre Kinder, die waren alle schon ausgeflogen und lebten ihr eigenes Leben.
Es war kurz vor fünf Uhr.
Er nahm die Taschen, verließ das Haus und fuhr mit einem Taxi bis Klara Strand.
John Stierna stand an der Reling, als die Fähre in Stockholm ablegte. Er fragte sich, wann er wohl zurückkommen würde, und musste sich eingestehen, dass es sicher lange dauern würde.
4
Stierna hatte das Gasthaus sorgfältig ausgesucht. In den letzten Monaten hatte er diverse Broschüren über Gotland gelesen. Er hatte lange Zeit gebraucht, um eine Entscheidung zu treffen, schließlich hatte er sich für das »Rosengården« in Visby entschieden. Das Gebäude war alt, und die Zimmer sahen auf den Fotos gemütlich aus. Die Pension war klein und intim, sie hatte nur etwa dreißig Zimmer.
Das »Rosengården« lag dem Dom gegenüber, Sankta Maria, und Stierna wohnte im obersten Stock, im dritten. Sein Fenster ging auf die Straße und
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