Der Mann im Park: Roman (German Edition)
meinen Sie damit?«
»Ja, warum? Der Fall ist ja wohl nicht besonders aktuell. Hat keinen Neuigkeitswert, oder wie sagt man? Wer erinnert sich denn heute noch daran?«
»Ach so, jetzt verstehe ich Sie, Herr Kommissar.«
Stierna unterbrach ihn.
»Ich bin kein Kommissar mehr. Ich habe aufgehört.«
Der Journalist nickte.
»Ja, ich habe davon gehört. Und … Nein, das ist kein Artikel für die Rubrik Neuigkeiten. Ich schreibe eine Serie über schwedische Kriminalfälle. Das ist eher etwas Historisches. Etwas eher Unterhaltsames für die Leser.«
Unterhaltsames, dachte Stierna. Nur ein Journalist konnte den Mord an Ingrid Bengtsson als unterhaltsam bezeichnen.
»Für wen schreiben Sie?«
»Für die Månads-Tidskriften . Die nehmen die Artikel unbesehen. Wenn ich jemanden, der dabei gewesen ist, dazu bringen kann, mir zu berichten. Wie Sie.«
»Ja. Jäher, gewaltsamer Tod, das war noch nie schwer zu verkaufen.«
Der Journalist ging nicht auf Stiernas Einwurf ein.
»Und ich wollte mit dem Mord an Ingrid Bengtsson anfangen«, erklärte er stattdessen.
»Über welche anderen Fälle schreiben Sie noch?«
»Es werden drei Fälle sein. Ingrid Bengtsson, die Sala-Gruppe natürlich …«
»Natürlich«, murmelte Stierna unkonzentriert.
»Und dann die Explosion in der Pipersgatan. Direktor Flyborg. Waren Sie da zuständig?«
»Ja.«
Stierna erinnerte sich. Ein Taxi war in Stockholm in der Pipersgatan in die Luft gesprengt worden, eines Nachts im März 1926. Die Explosion hatte ganz Kungsholmen erschüttert. Stierna hatte damals Dienst gehabt, saß an seinem Schreibtisch und wäre fast vom Stuhl gefallen. Er erinnerte sich, dass seine Kaffeetasse zu Boden gefallen und zerbrochen war.
Der gesamte hintere Teil des Wagens, in dem Direktor Sixten Flyborg gesessen hatte, war in die Luft gesprengt worden. Sie hatten den Körper erst eine Stunde später gefunden, hundert Meter entfernt, auf einem Hof nahe der Piperschen Mauer. Stierna war als einer der Ersten vor Ort gewesen. Er hatte den Körper gesehen, oder besser gesagt, das, was von ihm übrig geblieben war.
Zwei Kompagnons von Flyborg steckten hinter der Tat. Das Motiv war wie so oft Geld. Es brauchte nur wenige Tage, um die Mörder zu fassen.
»Aber wie gesagt, ich wollte mit Ingrid Bengtsson anfangen«, sagte Grönwall. »Möchten Sie mir von dem Fall erzählen? Und natürlich können Sie alles lesen, bevor es in Druck geht.«
»Wie haben Sie mich gefunden?«
Börje Grönwall schien nicht verwundert über die Frage zu sein.
»Ich bin Journalist. Unsere Arbeit erinnert in vielem an die von Ihnen und Ihren Kollegen. Alte, ehrliche Polizeiarbeit.«
»Aha.«
»Nein, Spaß beiseite. Ich habe im Kriminalmuseum nach Ihnen gefragt. Dort wurde mir gesagt, dass Sie nach Visby gefahren sind, man wusste aber nicht, wo Sie wohnen. Ich habe mit einem gewissen Gösta Berg gesprochen, und er gab mir den Tipp, dass Kriminaldirektor Lindberg genauer wissen könnte, wo Sie sind. Gesagt, getan, ich habe mit Lindberg gesprochen, und ja, er gab mir die richtige Adresse.«
»Beeindruckend«, murmelte Stierna.
»Ja, und nun bin ich hier. Mit Block und Stift und ganz Ohr für eine gute Geschichte.«
Stierna musste trotz allem über die Dreistigkeit des Journalisten lachen.
»Wollen Sie mir erzählen?«, fragte Grönwall. »Von Ingrid Bengtsson?«
Stockholm 1928
6
Kriminaldirektor Gustaf Berner hatte schon zweimal vergeblich bei Kommissar Stierna angerufen. Niemand hatte abgenommen, nachdem er durchgestellt worden war. Was eigentlich nicht überraschend war, Berner wusste, dass Stierna am vergangenen Abend noch lange gearbeitet hatte.
Berner ging zu seiner Hausbar und nahm eine Zigarrenkiste heraus.
Sein Entschluss stand bereits fest. Er hatte ihn schon in dem Moment gefasst, als er vor fast einer halben Stunde den Anruf bekommen hatte.
Auf dem Tisch lag der Block mit den kurzen Stichworten:
Djurgårdswerft.
Blondes Mädchen, ca. 10 Jahre alt, möglicherweise jünger.
Quetschungen linke Schläfe.
Anzeichen für Vergewaltigung.
Identität unbekannt.
Er stand im Esszimmer seiner Dienstwohnung im Polizeigebäude auf Kungsholmen. Es war halb sieben Uhr morgens, am Montag, den 3. September 1928.
Der junge Polizist, der ihn angerufen hatte, war tief erschüttert gewesen.
Die beiden Schutzleute vom siebten Distrikt, die als Erste am Tatort gewesen waren, hatten getan, was zu tun war. Auf den Arzt gewartet, der, als er mit dem Rettungswagen kam, nur noch feststellen
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