Der Mann im Park: Roman (German Edition)
und drehte sich um.
»Herr Stierna«, sagte der Oberkellner, »kann ich Ihnen irgendwie helfen?«
»Ich würde gern noch ein Bier bestellen, bevor ich ins Bett gehe, wenn das möglich ist.«
Malmborg erhob sich.
»Gehen Sie ruhig wieder an Ihren Tisch, ich regle das schon.«
»Danke, vielen Dank.«
Stierna kehrte zum Fenstertisch zurück. Grönwall schaute erneut in die Nacht hinaus.
Beschwipst, dachte Stierna. Der hat morgen keinen leichten Arbeitstag.
Der Journalist lächelte Stierna zu, als er sich setzte. Zurückhaltend, aber es war ein Lächeln.
»Ich weiß nicht«, sagte Grönwall.
Stierna schaute ihn an.
»Was wissen Sie nicht?«
»Ich weiß nicht … Stimmt das, was man über die Polizeibeamten sagt? Dass sie alle einen Fall haben, einen einzigen, den sie unbedingt lösen wollen. Mehr als alles andere auf der Welt. Etwas, womit sie arbeiten, wenn sie freihaben, worüber sie grübeln, wenn sie versuchen, abends einzuschlafen. Etwas, worauf sie eine Antwort finden wollen, in ihrer Freizeit. Es heißt, dass alle, die eine gewisse Zeit dabei sind … Dass die alle so einen Fall haben. Stimmt das, oder ist das ein Mythos?«
»Nein, das stimmt nicht.«
Grönwall beugte sich über den Tisch.
»Sie behaupten, das ist ein Mythos?«
»Weitgehend schon. Nicht alle haben so einen Fall. Nicht mal die meisten.«
Eine der jungen Frauen vom Tisch am Eingang kam zu ihnen. Sie lächelte Stierna zu und stellte ihm ein Glas Bier hin. Er erwiderte ihr Lächeln.
»Danke, Fräulein. Setzen Sie es auf die Zimmerrechnung?«
»Ja, natürlich, Herr Stierna.«
»Vielen Dank.«
Die Frau lächelte wieder.
»Und, haben Sie so einen Fall, den Sie unbedingt lösen wollen?«
Stierna sah sich im Raum um, als suche er jemanden.
»Müssen Sie das noch fragen?«
Grönwall antwortete nicht.
»Der Wagen«, sagte er stattdessen. »Den Sie in dem See gefunden haben. Was war da drinnen?«
»Wir haben nichts gefunden. Jedenfalls nichts von Wert.«
»Die Pistole und alles andere war weg?«
»Ja, alles war weg.«
»Dann hat er es mitgenommen.«
»Wahrscheinlich. Außerdem hat der Wagen viele Jahre lang im Wasser gelegen. In fünfzehn Meter Tiefe. Vermutlich seit 1928. Hätte es etwas zu finden gegeben, wir hätten es gefunden. Högstedt hätte es gefunden.«
Stierna griff nach seinem Bierglas.
Grönwall sah auf die Uhr.
»In ein paar Minuten«, sagte er. »Wenn die Uhr Mitternacht zeigt. Dann sind fünfundzwanzig Jahre vergangen, seit Ingrid Bengtsson tot auf der Djurgårdswerft gefunden wurde, auf den Tag genau. Wenn der Fall dann verjährt ist, wenn ganz klar ist, dass der Täter frei bleiben wird, dass er nie vor Gericht gestellt werden kann, wie werden Sie sich dann fühlen?«
Stierna schwieg.
Grönwall schaute ihm in die Augen.
»Ich habe etwas für Sie. Ein Geschenk. Als Dank dafür, dass Sie sich so viel Zeit für mich genommen haben.«
Stierna hob abwehrend die rechte Hand.
»Nein, nein. Das ist nicht nötig. Keine Geschenke …«
Grönwall unterbrach ihn.
»Doch, das ist das Mindeste, was ich tun kann.«
Der Journalist kramte leicht benommen vom Alkohol in seiner Jackentasche.
Stierna lehnte sich zurück. Er versuchte zu hören, worüber die Angestellten des Hauses sich unterhielten, doch sie saßen zu weit weg.
Grönwall legte die rechte Hand auf den Tisch. Die Faust war geschlossen, die Knöchel waren weiß. Plötzlich spürte Stierna diese Intuition, die er so oft während seiner Zeit bei der Polizei erlebt hatte. Das Gefühl, dass etwas nicht stimmte.
Der Journalist öffnete seine rechte Hand. Und Stierna wusste bereits, was sich darin befand.
Der Kettenanhänger war der Kopie sehr ähnlich, die sie bei dem Goldschmied Axelsson hatten anfertigen lassen, im September 1928. Aber das Schweinchen hier war ein bisschen größer, die Kette etwas dicker. Ingrids Kette mit dem Ferkel. Das Original.
Stierna spürte sein Herz im Brustkorb schlagen. Schneller und schneller. Ihm fehlten die Worte.
Grönwall lächelte. Es war kein triumphierendes Lächeln, sondern eher ein müdes, erschöpftes.
»Sie haben mich in Stadshagen gejagt, aber ich habe darüber nie etwas in der Zeitung gelesen. Wieso? War es Ihnen peinlich, dass Sie mich nicht erwischt haben?«
Stierna saß stumm da.
»Als ich Sie hier in Visby aufgesucht habe, gab es dafür zwei Gründe. Zum einen wollte ich dem Mann, der mich gejagt hat, in die Augen sehen, den Rausch, die Gefahr wieder spüren. Und dann wollte ich alles wissen … Aber vor
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