Der Mann mit dem Fagott
rassistischen Seite her kennenlernte.
Schon dieses Hand-in-Hand-Gehen eine Demonstration, die nichts von jener Leichtigkeit hatte, mit der ich zu Hause mit Gitta Hand in Hand gegangen bin oder auch mit Patsy. Vielleicht lag schon hier der Beginn aller Mißverständnisse. Es hat meinen Absichten eine Ernsthaftigkeit, eine Verpflichtung verliehen, die ich weder eingehen konnte noch wollte und die Adrianne wahrscheinlich doch nicht anders hatte verstehen können.
Und natürlich hatte die Tatsache, daß ich sie, ohne mir etwas dabei zu denken, sogar zu Hause bei ihrer Familie besucht hatte, noch das Ihrige dazu beigetragen, ihre Hoffnungen zu stärken. Es mußte ja wie ein »Antrittsbesuch« ausgesehen haben, wie mir inzwischen klar ist …
Sicher war es ein Fehler gewesen, ihr dann, um sie nicht zu enttäuschen, auch noch zu versprechen, ich würde nach unserer Amerikareise
und vor meiner Rückkehr nach Europa auf jeden Fall noch einmal zu ihr nach Pittsburgh kommen.
Ein Versprechen, von dem ich schon in dem Moment, als ich es gab, insgeheim klar wußte, daß ich es nicht würde halten können. Für eine solche Reise würde allein schon das Geld nicht reichen, und Herwig hatte sich in Kenntnis meiner Unvernunft und meiner Begabung, mich immer tiefer in Liebesnöte zu verstricken, auch strikt geweigert, mich hinzubringen oder mir sonst irgendwie dabei zu helfen, Adrianne wiederzusehen (»Du spinnst wohl! Du wirst mir noch dankbar sein!«). Im Grunde weiß ich, daß er recht hatte, fühle mich sogar ein bißchen erleichtert: Was sollte ich ihr auch sagen? Eine gemeinsame Zukunft, wie sie es sich vielleicht erhofft hatte, war sowieso undenkbar. Nicht nur wegen Gitta. Es geht nicht um Gitta, und es geht auch nicht um Adrianne. Es geht nicht um eine Entscheidung zwischen beiden.
Es geht allein um mich , um meine Freiheit, meine Angst vor der Verpflichtung, die Frauen immer mit der Liebe zu verbinden scheinen. Es geht immer gleich um ein Versprechen: »Wirst du mich auch morgen noch lieben? Und übermorgen? Und nächste Woche? Und nächstes Jahr? Und in zwanzig Jahren?«
Verdammt noch mal, ich bin 23 Jahre alt und möchte eine Zukunft haben! Ich weiß nicht, was morgen ist und übermorgen und in zwanzig Jahren, und ich will es auch gar nicht wissen! Das sind Fragen, so beklemmend, daß sie jede Liebe, die ich zu geben habe, sofort im Keim ersticken. Gefühl von Verschlungenwerden, Bedürfnis nach Distanz, wo eben noch Liebe war und Nähe.
Liebe mußte doch nicht immer eine Zukunft haben! Was mich mit Adrianne verband, war Liebe, aber es war eine Liebe auf Zeit. Sie war erfüllt in dem, was wir in den Tagen in Pittsburgh erlebten. In diesem Sinne war sie groß. Und wichtig. Und unvergeßlich. Sie hatte eine Gegenwart, keine Vergangenheit und keine Zukunft.
Adrianne scheint das anders gesehen zu haben. Frauen scheinen mit einer Absolutheit zu lieben, die mir angst macht: Wenn sie nur lieben, wird alles andere für bedeutungslos erklärt, werden Berge versetzt, werden Pläne vollständig negiert, neue geschaffen, das Leben aus einer ganz neuen Perspektive gesehen. Bewundernswert, aber völlig undenkbar für mich. Jedenfalls im Augenblick. Für mich zählen vor allem meine Ziele. Und dazu brauche ich Freiheit.
Ich habe Adrianne nichts versprochen, doch offenbar verletze ich, wo immer ich versuche, so zu leben und zu lieben, wie es mir entspricht: im Augenblick. Ich wollte Adriannes Gefühle nicht verletzen. Und ich wollte Gittas Gefühle nicht verraten. Doch begreifen würde das keine von beiden.
Der Klang Amerikas
Hupend fährt ein Auto an mir vorbei, rauscht dicht an meiner Seite durch eine große Pfütze an einem undichten Hydranten. Nässe von oben bis unten bringt mich unsanft zurück in die Gegenwart. Weg aus Pittsburgh, weg von Adrianne. Zurück nach New York. Großstadthektik. Mittagszeit. Menschen, die an mir vorbeihetzen, während ich mit einem Taschentuch versuche, das Malheur einigermaßen zu beseitigen. Es ist warm, und die Sonne wird meine Kleidung schnell trocknen.
New York hat mich wieder: bunt, fremd, sich an jeder Straßenecke verändernd. Die erste von keinem Krieg versehrte Stadt, die ich in meinem Leben sah. Häuser, die immer weiter in den Himmel gebaut wurden, während Europa in Schutt und Asche lag. Doch auch hier der Verfall der Zeit. Häßliche, heruntergekommene, sechsstöckige Downtown-Häuser mit Feuerleitern an den Außenfassaden, denen auch der nachgeahmten Jugenstil-Schmuck an den
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