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Der Mann mit dem Fagott

Titel: Der Mann mit dem Fagott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Juergens , Michaela Moritz
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bedenklich galten, Kranke, Behinderte, politisch Andersdenkende, sie alle bekamen das berüchtigte Kreuz mit der Kreide auf den Rücken gemalt, und das »Land der Freiheit« blieb ihnen für immer versperrt - paradoxerweise gerechtfertigt mit der Phrase vom »Schutz« ebenjener Freiheit, die man ihnen verwehren müsse, um sie dem Land zu erhalten. All dies, fatal an den Judenstern erinnernd, wird hierzulande nicht verschwiegen, aber es wird auch nicht diskutiert. Erste Irritationen meines Amerika-Bildes.
    Heute ist das »Tor zur Freiheit« auf Ellis Island geschlossen. Das Problem ist in die Heimatländer der Emigranten verlegt worden: aus Kostengründen. Wer nicht willkommen ist, erhält erst gar kein Ticket und muß somit auch nicht kostspielig wieder zurückgeschickt werden. Und für die Optik ist es ohnehin besser, mit Ellis Island kein Symbol der Ausgrenzung mehr unmittelbar vor der Tür zu haben. Da baut man schon lieber ein Museum, das die Einwanderungsgeschichte ins gewünschte Licht setzt.

Midway Lounge
    Menschenmassen an einer Ampel. Mittagszeit. Aus den Büros im Financial District strömen Männer in dunklen Anzügen auf dem Weg zum Business Lunch. Beinahe ausschließlich Weiße. Schwarze fast nur in den Livreen der dienenden Berufe, als Liftboys, Schuhputzer, Portiers, Kellner. Funktionalisiert und nur in dieser Weise hingenommen. Irgendwie scheint Wall Street bis heute der Schutzwall gegen alles Fremde, Unberechenbare zu sein, als der diese Straße vor rund vierhundert Jahren errichtet wurde: ein Holzwall, dem »Wall Street« bis heute ihren Namen verdankt, gebaut zum Schutz vor den »Ureinwohnern« aus dem Norden Manhattans, der damals noch nicht erschlossen war, ein dichter, undurchdringlicher, geheimnisvoller Wald, in dem die Indianer lebten.
    Eine etwas beklemmende, kalte Atmosphäre, Enge, nichts zu fühlen vom Herzschlag der Weltwirtschaft, der hier zu Hause sein soll. Atmosphäre eines Geheimbunds, die keinen Eindringling duldet. Verschlossene, elitäre Gesichter, fast immer halb bedeckt von den tief in die Stirn gezogenen Hüten. Imposante, abweisende Portale. Ganz und gar nicht meine Welt. Auch meinen von der Börse begeisterten und sein Leben lang so erfolgreich mit Aktien handelnden Großvater kann ich mir hier beim besten Willen nicht vorstellen. Zuwenig Seele für einen Genuß- und Kulturmenschen wie ihn.
    Ich gehe schnell weiter, versuche, in Gedanken einen Brief an Gitta zu formulieren, einen Brief, wie ich ihn ihr schon seit Wochen schuldig bin, ein Dutzend Mal angekündigt in all den kurzen, eilig hingeworfenen, ein wenig dünnen Zeilen, die ich ihr bisher schrieb, doch bis heute nicht erfüllt. Es soll ein schöner Brief werden. Ein liebevoller. Einer, der sie an all den Eindrücken teilhaben läßt, die mein Leben in diesen letzten Wochen beherrscht und bereichert haben.
    Doch wie soll ich ihr offen von allem berichten, was meine Zeit hier geprägt hat, wenn ich doch manches Wichtige verschweigen muß. Sie wird das bange Schweigen zwischen den Zeilen spüren,
das weiß ich, das schlechte Gewissen, das aus jedem noch so liebevollen Satz sprechen wird, so sehr ich es auch wortreich zu übertönen versuche.
    Wie kann ich über meine Erfahrungen vom Umgang mit Schwarz und Weiß sprechen, ohne von der prägenden Begegnung mit Adrianne Hall in Pittsburgh zu erzählen? Erst einige Wochen her und für mich doch schon eine Ewigkeit zurück in dieser rastlos erfüllten Zeit. Und doch auch wiederum nicht lange und weit genug entfernt, um das schlechte Gewissen in mir zum Verstummen zu bringen. Beiden gegenüber.
    Bin wieder einmal unbedarft und leichtsinnig in eine Situation geschlittert, die schon nach kurzer Zeit unlösbar geworden zu sein scheint. Wieder einmal typisch für mich und meine schnell entflammbare Begeisterungsfähigkeit.
    Hätte ich gegen Adriannes Blicke immun sein müssen? - Damals, in der »Midway Lounge« in Pittsburgh, einem Jazzclub, in dem vor allem Farbige verkehrten und der schon nach ein paar Tagen in jener Stadt zu unserem Stammlokal geworden war. Man war offen, fröhlich, liebte die gleiche Musik wie wir, interessierte sich für uns, für Europa, für das Studienprogramm, dem wir unseren Aufenthalt in dieser Stadt verdankten.
    Nach einigen Abenden lud man mich ein, mit der Band zu spielen, ein wenig zweifelnd sicherlich, ob »der Europäer« auch nur annähernd an das Feeling und die Seele herankommen würde, mit der diese überwiegend schwarze Band diese Musik

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