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Der Mann mit dem Fagott

Titel: Der Mann mit dem Fagott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Juergens , Michaela Moritz
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besteht jede Mutprobe. Ich stelle es mir auch sehr schön vor zu fliegen, aber ich glaube, das schaffe ich nie. Aber vielleicht kann ich ja irgendwann beim Fanfarenzug mitmachen. Leider kann man dabei kein Akkordeon gebrauchen.
    Und außerdem ist mein liebstes Stück auf dem Akkordeon der amerikanische Navy-Marsch, den ich von einer Schallplatte her kenne, die wir vor dem Krieg bekommen und immer wieder auf unserem Grammophon gehört haben. Ich konnte ihn sofort nachspielen. Er ist wirklich wunderschön, und manchmal spiele ich ihn auch jetzt noch heimlich, aber dann darf wirklich kein Fremder in der Nähe sein, denn das wäre gefährlich. So eine Musik ist verboten. Schließlich sind die Amerikaner unsere Feinde.
    Ich habe schon mal auf einer geliehenen »Fanfare«, einer Art kleinen Posaune, geübt, und das kann ich schon ganz gut. Ich glaube, das würde mir am allerbesten gefallen: im Fanfarenzug Musik zu machen. Jeder muß an seinem Platz das Beste geben, dann wird er auch geehrt. Nur wer nirgends dazugehört oder wer aus einer zweifelhaften Familie mit Sympathien für die Kommunisten kommt oder so, der wird eben nicht geehrt. Aber jetzt bin ich
erst mal froh, daß mein Hemd mich vor dem Hilfslehrer Sauer beschützt.
    Irgendwo höre ich meinen kleinen Bruder Manfred lauthals lachen. Wahrscheinlich spielt Joe irgendein verrücktes Spiel mit ihm. Manfred ist gerade ein Jahr alt geworden. Ein fröhlicher Bursche, der gerade erst gelernt hat zu laufen. Keiner meiner Onkel hat ihn bisher gesehen. Und auch mein Großvater nicht.
    Lange hat uns schon keiner meiner Onkel mehr besucht. Man bekommt nicht so ohne weiteres eine Reiseerlaubnis. Und jeder wird auch an seinem Platz gebraucht: Onkel Erwin, der älteste Bruder meines Vaters, bei der »Olex« in Hamburg; dort macht er Benzin für die Autos und Strom oder so was. Onkel Werner in Riga als Soldat, Onkel Gert auf dem Landgut Barendorf bei Lüneburg, mein Vater hier und Onkel Johnny, der Jüngste, irgendwo im Krieg. Seit Anfang August haben wir nichts mehr von ihm gehört. Damals war er gerade in Bukarest stationiert. Aber anscheinend ist Bukarest inzwischen von den Russen besetzt worden, und von Onkel Johnny gibt es kein Lebenszeichen. Ich glaube, meine Eltern machen sich große Sorgen. Aber wenn etwas Schreckliches passiert wäre, hätten wir es bestimmt erfahren. Man bekommt eine Mitteilung, wenn ein Soldat für seine Heimat gefallen ist. Jedenfalls haben meine Freunde, deren Väter, Brüder oder Onkel im Felde gefallen sind, solch eine Nachricht bekommen.
    Onkel Johnny und Onkel Werner sind meine Lieblingsonkels. Jedenfalls haben sie bei ihren Besuchen immer die schönsten Späße mit uns gemacht, und sie schicken die liebsten Briefe.
    Onkel Erwin ist immer so streng und redet dauernd von »Zucht und Ordnung« und Disziplin wie in der Schule.
    An Onkel Gert kann ich mich fast gar nicht erinnern. Ich weiß nur, daß er in Afrika war und einen echten Löwen geschossen hat. Seither nennen ihn alle nur den »Löwentöter«. Und sicher hat er in Afrika sogar Neger gesehen. Ich muß ihn unbedingt mal fragen, ob die wirklich so schlimm sind, wenn ich ihn irgendwann sehe oder wenn meine Eltern mit Barendorf telefonieren.
    Wir sind nämlich die einzigen im Dorf, die ein eigenes Telefon haben. Wenn man jemanden sprechen will, der auch ein Telefon hat, dreht man an der Kurbel, dann meldet sich ein Fräulein vom Amt, und man sagt ihr, wen man sprechen will. Und wenn man
Glück hat, läutet schon eine Stunde später der Apparat, und man kann mit jemandem in Klagenfurt sprechen. Oder auch mit Barendorf. Vielleicht sogar mit meinem Opa in Meran. Bestimmt würde ich auch meinem Großvater in dem neuen Hemd gefallen. Schade, daß er mich jetzt nicht sehen kann.
    So auf der Wiese liegen und über alles mögliche nachdenken, das liebe ich.
    Eine Schwalbe fliegt hoch über mir, schwebt, zieht ihre Kreise. Hier, auf der Erde, ist alles irgendwie so schwer und kompliziert. Aber da oben muß es wunderschön sein und still. Man hört sicher nur den Wind ganz leise in den Ohren sausen und spürt die Kraft der eigenen Flügelschläge. Es muß eine schöne Melodie sein, die man da hört.
    Ich folge der Schwalbe mit meinem Blick, das ist mein Lieblingsspiel. Und plötzlich bin ich diese Schwalbe, bin ganz leicht, erhebe mich, schwebe, tanze …
    Ich bin ganz versunken in mein Spiel, als ich plötzlich ganz leise, in der Ferne das bedrohlich vertraute Geräusch höre, das mir immer sofort eine

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