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Der Mann mit dem Fagott

Titel: Der Mann mit dem Fagott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Juergens , Michaela Moritz
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wage ich mir gar nicht auszumalen.«
    »Verschreien Sie’s nicht, aber ich habe immer ein bißchen Angst, in meiner alten Heimat aufzutreten, obwohl ich Deutschland liebe. Ich gelte ja hier immer noch als Fahnenflüchtige, fast als Landesverräterin.« Sie lacht, und man spürt die leichte Bitterkeit in diesem Lachen. »Weil ich unter dem Faschismus nach Amerika gegangen bin, weil ich die amerikanischen Soldaten unterstützt habe, weil ich immer ein Mensch war, der demokratisch denkt und fühlt.« Sie zündet sich eine neue Zigarette an, nimmt einen tiefen Zug.
    »Aber diese Dinge liegen doch weit zurück. Ich bin sicher, man hat Ihnen inzwischen verziehen.«
    Marlene Dietrich legt mit einer schroffen Bewegung ihr goldenes Feuerzeug auf das Klavier. »Ich will aber nicht, daß man mir ›verzeiht‹! Ich will, daß man ›versteht‹! Ich habe nichts falschgemacht!« Sie macht eine wegwerfende Handbewegung, »Aber unser Beruf ist sowieso die einzige Notwehr, die wir gegen diese Welt haben.« Sie sieht mich mit einem erstaunlich offenen Blick an, anscheinend wieder ganz mit sich im reinen. »Aber vielleicht brechen ja jetzt neue Zeiten an: Die Jugend, die in Deutschland heranwächst, verbinde ich mit einer großen Hoffnung. Und daß Kennedy nächste Woche nach Deutschland kommt, ist vielleicht so etwas wie ein äußeres Signal für den anstehenden Neubeginn im Denken und Fühlen. Glauben Sie, daß es so etwas gibt, so einen Neubeginn?«
    »Natürlich gibt es das. Leben ohne Veränderung ist undenkbar. Und Kennedy ist jetzt schon so etwas wie ein neues Jugendidol. Nach seinem Besuch hier wird das Dimensionen erreichen, die man sich noch gar nicht vorstellen kann.«

    Sie nickt nachdenklich. »Ideale wären vielleicht wichtiger als Idole, aber wir werden ja sehen, wohin die Reise führt.« Und dann meint sie mit einem Lachen: »Es ist schon ein bißchen seltsam, jemanden, den man aufwachsen gesehen hat, jetzt als neues Jugendidol und sogar als den mächtigsten Mann der Welt zu erleben.« Sie schüttelt den Kopf. »Jack …« Sie unterbricht sich. »Sie wissen ja vielleicht, daß wir alle ihn Jack nennen.« Ich nicke. »Jack hat als ganz junger Bursche meiner Tochter Maria schöne Augen gemacht. Aber da hab ich aufgepaßt. Schließlich war er schon als Student ganz offensichtlich ein Frauenheld und Charmeur. Nicht mit meiner Tochter! Ich hab sie nur mit einer Anstandsdame mit ihm ausgehen lassen, sosehr sie das auch gehaßt hat. Und ich weiß natürlich, daß sie mich ausgetrickst und die Gouvernante mit Süßigkeiten und wahrscheinlich dem einen oder anderen Gläschen abgelenkt haben. Aber so ist halt das Spiel des Lebens.« Sie lacht. »Und vielleicht gehört gerade dieses Lebendige und Charmante an Jack zur neuen Politikergeneration dazu. Ich bin jedenfalls gespannt, wie sich die Dinge bei seinem Deutschlandbesuch entwickeln.«
    Ihr Kapellmeister ist herangetreten, gibt ihr ein Zeichen, daß man gehen sollte. Sie nickt. »Ich muß los. Aber vielleicht können wir uns beim Abendessen weiter unterhalten? Kennen Sie ein schönes Lokal hier?«
    Ich nenne ihr das »Stahlbad«, das einzige, das ich kenne.
    »Gut, dann begleiten Sie uns doch? Ich habe ein paar Freunde und Kollegen eingeladen.«
    Ich nicke. »Ja, sehr gern!«
    »Ich freue mich.« Sie steckt sich vor den Augen eines Feuerwehrmanns, der gerade vorbeikommt, die nächste Zigarette an. Er stockt einen Moment, als er uns rauchen sieht, möchte offenbar etwas sagen und wagt es dann angesichts »der Dietrich« nicht.
    »Verraten Sie uns nicht«, macht sie ihn wie selbstverständlich lachend zum Verbündeten und geht mit einem Augenzwinkern an ihm vorbei.

»Ich verstehe immer ›Onkel‹«
    München, knapp zwei Wochen später.
    »Es werden in Deutschland ganz neue Zeiten im Showgeschäft anbrechen.« Hans R. Beierlein sieht mich lange eindringlich an, um seinen Worten das nötige Gewicht zu verleihen. »Sie können es glauben oder nicht, die Ära der großen, absolut autoritären Musikkonzerne ist ein für allemal vorbei. Die dicken Bosse von den ›Produktionsgruppen Süd, Nord und West‹, wie sie die Polydor zum Beispiel unterhält, die selbstherrlich in ihren dicken Villen im Tessin sitzen, wissen noch gar nicht, daß ihre Zeit langsam zu Ende geht. Da ist eine Entwicklung im Gange, die von Frankreich und Italien kommt und die auch den deutschen Markt erfassen wird, und diese Entwicklung bedeutet, daß die schwerfällige Politik der langen Wege in der Musik

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