Der Mann mit dem Fagott
Frankfurt besucht haben. Aber noch nie sei es ein amtierender amerikanischer Präsident gewesen. Er überreicht Kennedy als Gastgeschenk einen Brief des ehemaligen Präsidenten Eisenhower.
»Ein souveräner Mann, dein Onkel«, meint Hans anerkennend.
Vor dem Römer ein paar launige Worte Kennedys an die jubelnden Menschen: Seit er in Deutschland sei, würden seine Gastgeber, je nachdem, welcher Partei sie angehörten, erklären, die jubelnden Menschen dort seien Angehörige der SPD, jene dort drüben seien Sympathisanten der CDU. Es sei ihm bis heute nicht gelungen, den Unterschied zu erkennen. »I don’t see the difference! I just see friends …« Ein Orkan der Begeisterung und ein offenbar spontanes Bad in der Menge, zum sichtbaren Entsetzen seiner Sicherheitsleute. Dann geht man zur Paulskirche, dem Ort, an dem in Deutschland vor fast 120 Jahren die erste deutsche, demokratisch gewählte Nationalversammlung tagte. Der Geburtsort der Deutschen Republik, der Demokratie in diesem Land, wenngleich sie sich damals, 1848, auch nur kurz halten und sich nur nach schweren Rückschlägen wieder etablieren konnte.
Mein Onkel, »Mayor Bockelmann«, wie er von Kennedy angesprochen wird, immer dicht hinter dem hohen Staatsgast. Kennedy geht auf den geschichtsträchtigen Ort ein. Und auf den deutschen Nationalhelden Goethe, der lange in Frankfurt lebte. Er zitiert den Schlüsselsatz aus »Faust«, wonach der Moment, in dem er »zum Augenblicke sage: Verweile doch, du bist so schön«, der Moment,
in dem er also bereit sei, in der Gegenwart zu verharren, statt vorwärts zu streben, der Augenblick sei, in dem er bereit sei, dem Teufel seine Seele zu geben und unterzugehen. Dieser Satz sei zentral und bedeutsam für unsere Zeit, meint Kennedy. Wer nur in der Gegenwart oder der Vergangenheit lebe, verpasse die Zukunft. Und die Zukunft, das sei eine starke Allianz zwischen Europa - besonders Deutschland - und Amerika. Es gelte, diese Allianz zu stärken und mit wachem Blick und offenem Herzen in Freiheit auf die Zukunft zuzugehen, die in unserer Hand liege.
»Das ist ja großartig«, jubelt Beierlein. »Das ist genau das, wovon wir heute gesprochen haben. Es geht um Veränderung, um Entwicklung, um Zukunft. In jeder Hinsicht!«
Zum Schluß ein paar persönliche Worte, die mich tief berühren und Onkel Werner, den man für einige Momente in Großaufnahme sieht, ganz offensichtlich auch. »Wenn ich aus meinem Amt scheide«, meint Kennedy zum Abschied, »werde ich meinem Nachfolger einen Brief hinterlassen, der nur in Stunden tiefster Traurigkeit zu öffnen ist. Und darin werden genau vier Worte stehen: ›Go and visit Germany!‹«
Staunend sehen Hans und ich uns an. »Das ist ja eine Hymne auf unser Land und die Menschen hier. Haben wir Deutsche das wirklich verdient, so positiv gesehen zu werden? Hättest du das gedacht?«
Ich schüttle den Kopf.
»Was für ein Kompliment!« Hans kann sich vor Begeisterung kaum noch beruhigen. »Und das von einem Sieger an die Besiegten! Das hat es noch nie in der Geschichte gegeben! Was für ein Mann!«
»Und dabei habe ich gerade letzte Woche noch mit Marlene Dietrich darüber gesprochen, ob es in Deutschland je wieder möglich sei, einem Politiker zuzujubeln.«
»Mit solchen Gesten macht er den Jubel in Deutschland mit Recht wieder salonfähig und schuldfrei! Da kann und muß man mit Jubel und Beifall reagieren.«
Kennedy verabschiedet sich von seinen Gastgebern in Frankfurt, steigt in den Wagen.
Hans hebt sein Glas. »Mir scheint, heute haben einige Dinge sich entscheidend geändert. Auf den Wandel.« Wir stoßen an. »Und auf die neue Zeit!«
18. KAPITEL
Luxemburg, 5. März 1966
Der Grand Prix und die Angst
Knirschende Kieselsteine unter meinen Schritten. Beinahe gespenstische Ruhe. Es ist ein ungewöhnlich milder März-Abend, trotzdem spüre ich eine Gänsehaut, meine Knie scheinen wie aus Watte, meine Hände zittern. Nervosität in einem nie gekannten Ausmaß. Pochender Herzschlag. Ich versuche, meinen Atem zu beruhigen, ihn meinen langsamen Schritten anzupassen.
»Du führst!« schreit Hansi Hoffmann, der Pressephotograph, der meinen Manager Hans R. Beierlein und mich nach Luxemburg begleitet hat, mir aus der Tür zum noblen Grand Auditorium de RTL zu. »Du bist weit in Führung!«
»Wie viele Länder noch?«
»Neun!«
Ich winke ab. »Da kann noch viel passieren.«
Ich will es eigentlich gar nicht genau wissen. Dieses Abwarten und Minute für Minute mit den
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