Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Mann mit dem Fagott

Titel: Der Mann mit dem Fagott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Juergens , Michaela Moritz
Vom Netzwerk:
Jurywertungen der einzelnen Länder meinem Sieg oder meiner Niederlage entgegenfiebern, bringt mich an den Rand meiner nervlichen Kraft. Ich möchte allein sein, im Augenblick, in der Stille dieses Parks, mich im knirschenden Geräusch der Kieselsteine unter meinen Lackschuhen verlieren und irgendwann das endgültige Urteil erfahren und damit leben.
    Hansi Hoffmann verschwindet wieder im »grünen Salon«, in dem die Teilnehmer des »Grand Prix d’Eurovision de la Chanson« die Punktevergabe miterleben sollen, eingefangen von gnadenlosen Kameras, die das Strahlen der Glücklichen die Tränen der Enttäuschten
für das Fernsehen und die Zeitungen von morgen in Nahaufnahme zeigen. Eine Spannung, die mich in die Flucht schlug. Und die Frage: »Warum nur habe ich mir diesen Irrsinn ein drittes Mal angetan? Warum habe ich mich dieser Gefahr noch einmal ausgesetzt, diesem ›Spiel‹, das alles, was ich bisher erreicht habe, an einem einzigen Abend zunichte machen kann?«
    Staub an meinen Schuhen. Es spielt jetzt keine Rolle.
    Es ist schon das dritte Mal, daß ich an diesem verrückten, unberechenbaren Wettbewerb teilnehme, dem weltweit wichtigsten Wettbewerb, den es in meiner Branche gibt, und diesmal hängt meine Zukunft davon ab, das spüre ich ganz genau. Alles oder nichts. Eine vierte Teilnahme wird es natürlich nicht geben. Schon dieses dritte Mal in jenem »Hexenkessel« war eigentlich gar nicht in meinem Sinne. Ich hatte meine großen Erfolge bei diesem Wettbewerb gehabt, Erfolge, die auch gleichzeitig irgendwie Niederlagen waren und die doch eine Lawine an Bekanntheit und Plattenverkäufen losgetreten, mir vieles ermöglicht haben, was zuvor undenkbar schien.
    Vor zwei Jahren war ich mit »Warum nur, warum« fünfter geworden, im letzten Jahr mit »Sag ihr, ich laß sie grüßen« in Neapel vierter. Die beiden Lieder waren Welthits geworden, die in über vierzig Ländern veröffentlicht und nachgesungen wurden. Sie haben meiner Karriere nach all den Jahren des Kämpfens mit mutlosen Produzenten einen Raketenstart beschert. Beim Grand Prix einen der ersten Plätze zu belegen, kann bedeuten, eine Weltkarriere zu starten, einen internationalen »Nummer-eins-Hit« zu haben - beinahe sicher. Ein Erfolg bei diesem Wettbewerb ist wie ein Katapult für die Karriere, wie keine andere Großveranstaltung, kein anderes Ereignis in meinem Beruf es sein kann - nicht nur für den Sieger, sondern zumindest für die ersten fünf, und ich habe diesen beiden sehr guten Placierungen der letzten beiden Jahre beinahe alles zu verdanken, was ich seither erreicht habe.
    Gleichzeitig habe ich bei jeder Grand-Pix-Teilnahme die Nervenanspannung gespürt, die kaum erträglich ist, das Gefühl, zu zerreißen, und nach dem Bewerb in Neapel hatte ich dann auch tatsächlich einen schweren Zusammenbruch. Im ersten Moment dachte ich, es sei ein Herzinfarkt. 31 Jahre alt und am Ende aller Kräfte. Panik. Überlebensangst, wie ich sie noch nicht einmal als
Kind im Krieg gekannt habe. Es stellte sich zum Glück heraus, daß es nur ein Mangel an Calcium, ein Preis für mein unsolides Leben, das viele Rauchen, zuviel Alkohol, zuwenig Schlaf, den Streß, die Anspannung gewesen war. Mit meinem Herzen war alles in Ordnung, und ich schwor mir, dies sei das letzte Mal gewesen, daß ich diesen Irrsinn mitmache.
    Offenbar war es mir nicht beschieden, diesen Bewerb zu gewinnen. Zwar war ich beide Male - nicht bei der deutschen und österreichischen, wohl aber bei der internationalen Presse - der Favorit gewesen, aber das hat eben nicht gereicht. Das Verlieren hatte mich beliebt gemacht, vielleicht sogar bekannter, als wenn ich beim ersten Mal gewonnen hätte. Da ist dieser Bursche am Klavier, dem das Schicksal in Gestalt der Jury übel mitspielt. Eine Art Märtyrereffekt. Es hat Aufmerksamkeit auf mich gelenkt, und - »verlieren« hin oder her - ich war seither international bekannt und gefragt, hatte als Komponist offene Türen vorgefunden. Ich war als Komponist von Welthits endlich im Geschäft.
    Aber noch einmal die Eurovision, das erschien mir fast wie ein musikalischer - und auch nervlicher - Selbstmord. Diesmal verlieren, und ich wäre erst einmal tot, bildlich gesprochen. Ein drittes Mal nicht zu gewinnen, das wäre peinlich, würde mich auf das Niveau des ewig Begabten bringen, der im entscheidenden Moment dann doch versagt. Meine Karriere, all das Erreichte wäre erst einmal im Eimer. Weniger wert als die Kieselsteine unter meinen Füßen.
    Ich

Weitere Kostenlose Bücher