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Der Mann mit dem Fagott

Titel: Der Mann mit dem Fagott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Juergens , Michaela Moritz
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Schulterklopfen von allen Seiten. Und der Beginn der Qual. Noch neun Teilnehmer nach mir, dann das Pausenprogramm, die quälend langsame Punktevergabe und die Frage »Warum hab ich mir das nur angetan?«, die seither immer wieder im Rhythmus meines rasenden Pulses in meinem Kopf pocht.
    Anderthalb Stunden warten, die längsten Minuten meines Lebens.

»Dies ist erst der Anfang«
    »Du gewinnst! Nichts kann dich mehr den Sieg kosten!« Wieder die Stimme von Hansi Hoffmann aus der geöffneten Tür, und jene meines Managers: »Er hat recht! Du hast gewonnen!«
    Ungläubigkeit. »Wieviele Länder noch?«
    »Noch drei! Aber niemand kann dich mehr einholen! Glaub mir doch!«
    »Ich will es nicht wissen!« Zähle sinnlos meine Schritte. Gefühl der totalen Unwirklichkeit. Was, wenn sie sich doch irren? Was, wenn jemand falsch gerechnet hat? Irgendetwas in dieser Art wird bestimmt noch passieren, da bin ich mir plötzlich ganz sicher. Es kann einfach nicht sein, daß ich diesmal wirklich gewinne. Ich wage es nicht, daran zu glauben. Und irgendwie war schließlich schon der ganze Tag so seltsam gewesen, nirgendwo in ganz Luxemburg hatte ich mir eine »Bild«-Zeitung kaufen können. Angeblich seien alle ausverkauft, sagte man mir, wo immer ich auch nachfragte - im Hotel, am Bahnhof, an jedem Kiosk, an dem ich vorbeikam. Und jedesmal machte man dabei so ein seltsames Gesicht. Irgendetwas stimmte da nicht. Und dann das komische Telefon in meinem Zimmer, das plötzlich nicht mehr funktionierte. Ich bekam einfach keine Verbindung »nach draußen«, konnte nur Hans R. Beierlein und Hansi Hoffmann im Hotel erreichen, sonst niemanden. Seltsames Herumdrucksen und Verzögerungstaktik an der Rezeption nach meiner Beschwerde und Beierlein, der so entschlossen, daß mir Widerstand zwecklos schien, sagte: »Du sollst auch gar nicht telefonieren. Du mußt deine Ruhe haben.«
    Autorität, der ich mich, ganz entgegen meinem Wesen, beugte. Es war der seltsamste Tag, den ich je erlebt hatte.
    Und nun stehe ich hier draußen, und man schreit mir ständig zu, ich würde diesmal gewinnen, es sei ganz sicher.
    Ich bin gerade dabei, einen Kieselstein aus meinem Schuh zu schütteln, als Hansi Hoffmann und Beierlein in den Park stürzen und mir um den Hals fallen. »Du hast gewonnen! Du hast doppelt so viele Punkte wie die zweite! Du hast es geschafft!«

    Und ehe ich einen klaren Gedanken fassen kann, stürzt alles auf mich ein: Beierlein, der mich mit sich zieht. »Du mußt auf die Bühne!«
    Ich sehe ihn nur ratlos an.
    »Nun glaub es doch endlich! Du hast GEWONNEN!!! Wir werden jetzt in dieses Theater gehen, und du wirst der Sieger sein. Du wirst gefeiert werden und wirst ›Merci Chérie‹ noch einmal spielen und singen und deinen Preis entgegennehmen!« Er zieht mich mit sich.
    Drinnen empfangen mich Fernsehkameras, Blitzlichtgewitter, Dutzende Stimmen, die gleichzeitig irgendetwas von mir wollen. »Wie fühlen Sie sich?« - »Haben Sie damit gerechnet, heute zu gewinnen?« - »Was haben Sie für eine Botschaft an die Welt, die Ihnen in diesem Moment zujubelt?« - »Fühlen Sie sich als Österreicher oder als Deutscher?« - »Hat Sie die ›Bild‹-Schlagzeile von heute belastet?«
    »Bild«-Schlagzeile? Welche »Bild«-Schlagzeile? Beierlein raunt mir lächelnd zu: »Das erkläre ich dir nachher« und vertröstet die Journalisten ruhig und professionell auf später.
    Irgendwie gelange ich auf die Bühne. Frenetischer Applaus, der gar nicht enden will. Standing Ovations. France Gall, die Vorjahressiegerin überreicht mir die Trophäe. Irgendwie drängt man mich ans Klavier, und erst in diesem Moment komme ich wieder zu mir. Es ist, als wäre die Zeit zwischen meinem Auftritt vorhin und diesem Augenblick im Nichts versunken. Die Tasten sind meine Freunde. Die Menschen jubeln mir zu. Ich frage mich, ob ich in diesem Moment überhaupt werde singen können, empfinde erst jetzt die Emotion, die die Anspannung besiegt und meine Stimme ein wenig brüchig macht. Ich muß mich konzentrieren. Ich spüre die Menschen, ich spüre, wie sehr sie sich für mich freuen. Ich kämpfe mit den Tränen. Ich ahne, daß dies ein ganz entscheidender Moment meines Lebens ist, vielleicht der wichtigste, und ich kann nichts anderes tun, als all diese unfaßbaren Gefühle in dieses eine, einzige kleine Lied zu legen, das mir diesen Augenblick geschenkt hat. Ich spiele, ich singe, ich höre mir wie von außen zu, ändere im letzten Vers spontan den Text: »Merci Jury«.

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