Der Mann mit dem Fagott
höre Hansi Hoffmann in den Park brüllen: »Wo bist du, verdammt noch mal? Nur noch fünf Länder, und du führst uneinholbar! Die Kameras wollen dich sehen!«
Ich will es nicht glauben und setze meinen Spaziergang fort.
Die Gesetze der Eurovision sind unergründlich. Abgesehen davon, daß die Qualität eines Liedes ohnehin nicht meßbar ist. Eine unsichtbare Jury zu überzeugen, das ist viel schwieriger als ein Publikum im Saal für sich zu gewinnen. Die Jury, das sind abwesende »Fachleute«, die ihre Entscheidung auch nach politischen Kriterien treffen, so munkelt man jedenfalls. Die skandinavischen Länder geben sich die Punkte gegenseitig, genauso wie die romanischen und die angelsächsischen. Nur die deutschsprachigen gönnen sich gegenseitig nichts. Niemand versteht das, aber so ist
es fast immer. Seit Jahren schon. Es entsteht jedesmal eine ganz eigene Dynamik der Punktevergabe, Lied und Interpret sind nicht allein entscheidend. Das schreckte mich ab und machte mich ganz sicher, diesen Wettbewerb in Zukunft hinter mir zu lassen. Inzwischen hatte ich einfach viel zuviel zu verlieren.
Dann kam der Tag, an dem mein Manager Hans R. Beierlein mich bat, das dritte Mal ein Lied für diesen Wettbewerb zu komponieren. Nur zu komponieren. Nicht für mich, sondern für einen anderen Sänger, der noch zu suchen sei. Wenn wir das richtige Lied hätten, würden wir auch den richtigen Interpreten finden, und wir hätten einen Fuß in der Tür, ohne daß ich das Risiko und die Nervenkraft noch einmal zu investieren hätte.
Ich versprach, es zu versuchen. Tagelang fiel mir nichts ein. Eines Abends hab ich dann meinen besten Freund Tommy Hörbiger, den Sohn des bekannten österreichischen Volksschauspielers Paul Hörbiger, ins Vertrauen gezogen. Wir saßen im Hinterzimmer seiner Diskothek, dem »Wiener Playboy Club«, dem populärsten Club in München. Dort stand ein altes Klavier. Wir saßen bei Wodka Tonic, redeten über Musik und Frauen, es war die richtige Stimmung, um ans Klavier zu gehen. Einfach nur so zum Spaß. Zuerst jedenfalls. Ich probierte verschiedenes aus, wir unterhielten uns, ich haderte mit dem Problem der unbeliebten deutschen Sprache und ihrer Unverständlichkeit.
»Man müßte ein Wort, einen Gedanken, irgendetwas finden, was man überall in Europa versteht, und um dieses Wort herum müßte man den übrigen Text bauen. Es müßte sich oft wiederholen und eindringlich sein. So was wie ›Good bye‹, ›Arrivederci‹ vielleicht oder etwas mit ›Amore‹. Ach, ich weiß auch nicht. Alles, was mir einfällt, ist schon so verbraucht«, dachte ich laut vor mich hin. »Und der übrige Text müßte kurz sein, sehr emotional, so daß man durch die international verständlichen Wörter und durch den Klang des Ganzen das Lied auf der Gefühlseben versteht. Wenn mir nur das richtige Wort einfiele.« Ratlos dachten wir nach, ich improvisierte ein wenig am Klavier herum, ohne rechtes Ziel.
»So was wie ›Merci‹ vielleicht?« meinte Tommy Hörbiger nach einer Weile ganz nebenbei.
Ich sah ihn aufgeschreckt an. »Ja, das ist das Wort! Aber es müßte noch etwas anderes dazukommen. ›Merci‹ allein ist zu
kurz.« Das zweite Wort lag mir auf der Zunge. Madame? Nein, zu altmodisch. Mon amour? Das ist auch nix. Angestrengtes, unruhiges Nachdenken. »Ich hab’s! - Chérie«, schoß es mir plötzlich in den Kopf. »Das ist es, das ist es, das reimt sich sogar!«
Ich begann, am Klavier herumzuprobieren. Die Worte gaben mir die Melodie vor, fast wie selbstverständlich. Wir änderten im zweiten Vers ›Merci‹ in ›Adieu‹ um, dann baute ich einen Mittelteil, in dem ich als Interpret emotional etwas aus mir herausgehen konnte, ansonsten hielt ich mich an die Schlichtheit der Wortmelodie, an die Romantik und Innigkeit, die das Lied brauchte.
So entstand »Merci Chérie«, ein Lied, von dem ich gleich spürte, daß es das Zeug hat, die Menschen zu berühren. Manchmal, ganz selten, gibt es solche Momente, in denen man sich eines Liedes ganz sicher ist, alle Zweifel verliert und sich von den eigenen Tönen leiten läßt. Ich habe es Beierlein vorgespielt, und seine Gesichtsfarbe wurde ein kleines bißchen blasser, als sie ohnehin schon war, und seine Bartstoppel richteten sich auf - bei ihm ein sicheres Zeichen dafür, daß er zutiefst berührt war.
Lange sah er mich schweigend an, dann meinte er ganz ruhig: »Wir haben es!«
Mehr nicht. Er lud die Verantwortlichen und Entscheidungsträger des ORF ein, damit
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