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Der Mann mit dem Fagott

Titel: Der Mann mit dem Fagott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Juergens , Michaela Moritz
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ich es ihnen vorspiele.
    »Aber ich gehe nicht zur Eurovision« hatte ich da noch überzeugt erklärt, obwohl ich gleichzeitig wußte, daß nur ich dieses Lied überzeugend interpretieren konnte.
    »Natürlich nicht. Ich weiß. Wir werden jemanden finden, der das Lied singt«, meinte Beierlein, aber es klang nicht so ganz überzeugt. Ich war aber beruhigt und bereit zu jenem Treffen mit den ORF-Entscheidungsträgern.
    Sie kamen, ich sang. Begeisterte Sprachlosigkeit.
    »Aber wir müssen jemanden finden, der es singen kann«, wehrte ich mich immer noch, allerdings schon etwas kleinlaut.
    »Den haben wir doch schon. Sie selbst natürlich«, war die keinen Widerspruch duldende Antwort. » Sie müssen es singen und niemand anders, das haben Sie uns soeben bewiesen. Und diesmal werden Sie gewinnen. Oder zumindest einen Welterfolg haben.«
    Beierlein war derselben Meinung: »Es ist ein Risiko, aber mit diesem Lied ist das Risiko berechenbar. Mit diesem Lied wird dir
die Welt offenstehen! Und du willst doch wohl nicht allen Ernstes, daß irgendein anderer die Lorbeeren einstreicht oder diesen wunderbaren Song in den Sand setzt. Wenn du ›Merci Chérie‹ im Bewerb haben möchtest, dann mußt du es singen. Manchmal muß man im Leben ein Risiko eingehen. Glaub mir, ich spüre es ganz genau: Dies ist der Moment, es zu tun.«
    Ich erbat mir Bedenkzeit und wußte doch ganz genau, daß mein Widerstand längst dahingeschmolzen war.

Olymp oder Fallbeil
    Und nun bin ich hier, gehe im Park auf und ab und warte auf das Urteil. Entweder es hebt mich in den Olymp, oder es trifft mich das Fallbeil. Im Vorfeld war ich ein Nervenbündel, doch Hans R. Beierlein und Hansi Hoffmann hatten mich von aller Welt abgeschirmt und mir so zu etwas Ruhe verholfen. Minuten vor meinem Auftritt dachte ich: »Ich kann es nicht. Nicht noch einmal.«
    Zum ersten Mal in meiner Karriere lernte ich solche Gedanken kennen. Sonst scheue ich keine Situation, kein Risiko, kein noch so »schwieriges« Publikum. Aber dieser Auftritt hat mir etwas eingejagt, das ich sonst in meinem Beruf nicht kenne: echte, tiefe, schier unüberwindliche Angst. Das Gefühl, davonlaufen zu wollen, auswandern, was auch immer, um nur nicht auf diese Bühne, in diese Ungewißheit treten, mich nicht noch einmal so ausliefern zu müssen.
    Dann der Moment, in dem ich angekündigt wurde. Ich nahm es wahr wie in Trance. Der Weg auf die Bühne, ich kann mich kaum daran erinnern, nur an das Gefühl, getragen zu werden von einem brandenden Applaus, viel größer als erwartet. Das Gefühl, man will mich siegen sehen, und gleichzeitig die Angst, ich haue am Klavier daneben, habe den Text vergessen, meine Stimme versagt.
    Das gleißende Scheinwerferlicht, das mich auffing, änderte alles. Es gab mich den Blicken preis und ließ mich die Welt vergessen. Ein seltsames, schönes, vertrautes Empfinden von beglückender
Einsamkeit. Endlich nur noch ich. Scheinwerfer, die blenden und einen auf sich selbst zurückwerfen. Die Welt ist nicht mehr sicht-, nur noch hörbar. Sie besteht aus Licht und Wärme und Tönen. Aufblitzende Erinnerungen an meinen ersten Theaterbesuch und das Gefühl, auf dieser Seite des Vorhangs mein Leben leben zu wollen, dort, wo dieses Licht ist und alles andere in der Bedeutungslosigkeit versinkt. Den Gedanken, daß alle in meiner Familie zusehen, ließ ich nur einen Atemzug lang zu, dann habe ich ihn verdrängt.
    Danach meine Hände auf den Tasten, ein vertrautes Gefühl, das mir Ruhe gab. Die ersten Arpeggio-Töne, die warme Tonart F-Dur, in die ich mich fallenlassen konnte. Und das Gefühl zu schweben. Ein Augenblick, in dem einfach alles stimmt, ein seltenes Geschenk des Lebens. Genau hier, an dieses Klavier, auf diese Seite der Wirklichkeit, gehöre ich hin, und nirgends sonst. Auch der gefährliche hohe und extrem lange Ton im Mittelteil, der so schnell entgleitet und gepreßt klingt, wackelt oder gar abbricht, wenn man nicht entspannt ist, vorher nicht im richtigen Augenblick extrem tief einatmet und dabei doch ganz ruhig bleibt, kam ganz selbstverständlich, locker und klar, ohne das Gefühl von Schwäche, das ich noch bei der Probe bei ihm empfand. Absolutes Glücksgefühl, das mich mit Dankbarkeit und Demut erfüllte.
    Die letzten Töne. Ein Augenblick der Stille, dann der Jubel, der mich zurück in die Gegenwart brachte. Verbeugungen, Abgang.
    Umarmungen von Beierlein und Hansi Hoffmann, Leute vom Österreichischen Rundfunk und Fernsehen, die um uns herumschwirrten.

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