Der Mann mit dem Fagott
Aufbrausender Jubel.
Danach ein Empfang, Pressegespräche. Wie soll man solch
einen Augenblick kommentieren? Wie in diesem Moment etwas Druckreifes sagen? Hans R. Beierlein und Hansi Hoffmann helfen mir, wo sie nur können. Allmählich erschließe ich mir aus Gesprächsfetzen, was es mit der heute für mich nicht zu bekommenden »Bild«-Zeitung auf sich hat: Der Titel lautete sinngemäß: »Udo Jürgens - ohne Chance«. Beierlein und Hoffmann hatten davon frühmorgens erfahren, als ich noch schlief, und es war völlig klar, daß davon nichts zu mir durchdringen durfte, um meine Nerven nicht noch mehr zu strapazieren und mich nicht zu demoralisieren. Also haben sie, während ich nichtsahnend in meinem Bett lag, die unglaubliche Aktion gestartet, sämtliche in Luxemburg erhältliche »Bild«-Zeitungen aufzukaufen. Es müssen groteske Szenen gewesen sein: »Die ›Bild‹-Zeitung bitte! Nein, nicht eine ! Alle ! Alle, die Sie haben, auch die aus dem Lager.«
Man muß sie für völlig verrückt gehalten haben, aber so haben sie Unmengen von »Bild«-Zeitungen aufgekauft und entsorgen lassen. Und damit mich niemand von zu Hause aus per Telefon informieren konnte, hat man kurzerhand im Hotel mein Telefon sperren lassen.
»Und morgen muß ›Bild‹ so was Ähnliches schreiben wie ›Der Sieger: Udo Jürgens!‹ Darauf freue ich mich schon!« Beierlein lacht verschmitzt und reibt sich die Hände.
Wir trinken viel, essen kaum. Ständig werden uns Nachrichten übergeben. Einladungen in die ganze Welt. London, Rom, Paris, Madrid, Rio, Athen, Sidney, Tokio. Ab morgen kann ich mit meinen Liedern rund um den Erdball reisen. Es ist unvorstellbar. Und wunderschön.
Photographen drängen mich neben France Gall, die in dem einen Jahr seit ihrem Eurovisionsgewinn zu einem internationalen Star geworden ist und diesem Wettbewerb alles verdankt. Ein bezauberndes junges Mädchen. Wir waren uns schon bei den Proben sehr sympathisch gewesen, und jetzt, da die Spannung langsam von mir abfällt, lachen wir uns offen an. »Ein Photo bitte!« - »Udo, France - könnt ihr euch mal tief in die Augen sehen?« - »Und den Arm um ihre Schultern legen?« Wir lachen, ich nehme sie in die Arme. Ein Lächeln für die Kamera, ein tiefer Blick. Und ich sehe die berühmten Sternchen in ihren Augen.
»A bientôt?«
Ich nicke.
Beierlein nimmt mich beiseite. »Na, da bahnt sich wohl was an! Aber alles zu seiner Zeit. Laß uns kurz in den Park gehen. Das wird uns guttun.«
Ein kurzer Blick zu Hansi Hoffmann, der uns den Rücken freihalten soll. Wenigstens für ein paar Minuten.
Die Stille draußen ist im ersten Moment fast schmerzhaft. Ungewohnt. Sternklare Nacht. Wieder die knirschenden Kieselsteine unter unseren Füßen. Ich atme tief ein. Die klare Nachtluft ist wie ein neuer Lebenshauch, wie frischer Mut, Kraft, Zuversicht. Vielleicht ist das der Moment, in dem ich das Geschehene zum ersten Mal wirklich verstehe. Es scheint mir hier draußen in diesem Augenblick näher, greifbarer, wirklicher zu sein als drinnen in all dem Trubel.
Hans R. Beierlein spricht leise und ernst: »Ich wollte einen Moment der Ruhe mit dir verbringen, bevor wir ab morgen beginnen, die Welt aus den Angeln zu heben.« Er lächelt. »Denn es ist ganz wichtig, daß du eines nie vergißt: Dies ist erst der Anfang.«
Er läßt die Worte auf mich wirken. Ich nicke.
»Du hast heute hier gewonnen, und das kann unser Leben verändern. Das kann dich groß machen. Aber wenn du glaubst, du hättest nun alles erreicht, muß ich dich enttäuschen: Wir haben nur einen Fuß in der Tür. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Wir werden uns auf diesem Erfolg nicht ausruhen, sondern wir werden ihn nutzen. Die nächsten Schritte sind die entscheidenden, nicht die, die wir gerade erfolgreich gegangen sind. Nicht ›Merci Chérie‹ oder ›Warum nur, warum‹, das ist schon von gestern, das haben wir geschafft. Aber das nächste Lied, die nächste Platte, der nächste Schritt, darauf kommt es an.«
Er macht eine Pause. »Wenn du jetzt größenwahnsinnig wirst und abhebst und glaubst, ›Merci Chérie‹, das macht jetzt alles für dich, dann verschwindest du ganz schnell wieder in der Versenkung, dessen mußt du dir bewußt sein. Und was vielleicht noch wichtiger ist: Du wirst jeden Menschen, dem du jetzt auf deinem Weg nach oben begegnest, wieder treffen, wenn du irgendwann auf dem Weg nach unten bist. Und so, wie du ihn jetzt bei deinem Aufstieg behandelst, so wird er dich behandeln,
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