Der Mann mit dem Fagott
solltest du einmal auf dem Abstieg sein. Wir stehen erst am Anfang.« Er hält inne, sieht
mich eine Weile gedankenverloren an. »Es gibt viele Eintagsfliegen in diesem Beruf, und nur alle zwanzig oder dreißig Jahre einen, der das Zeug dazu hat, mit der Musik älter zu werden. Wenn es zur Zeit einen gibt, der dazu in Frage kommt, dann bist du das. Und es liegt seit heute alles ganz allein in deiner - in unserer Hand.« Er lächelt mich an, umarmt mich. »Ich gratuliere dir! Und jetzt laß uns wieder reingehen und feiern, du hast’s verdient! France Gall möchte mit dir anstoßen«, zwinkert er mir zu.
»Gleich, ich möchte noch schnell Panja anrufen. Da drüben hab ich eine Telefonzelle gesehen.« Ich deute in die andere Richtung des Parks.
Beierlein nickt. »Aber mach nicht zu lange, alle da drinnen warten auf dich, unter anderem auch die schönsten Frauen! Auch daran wirst du dich von heute an gewöhnen müssen, aber wie ich dich kenne, wird dir das nicht allzu schwerfallen.«
Wir lachen, und ich mache mich auf den Weg durch den Park, in einer Nacht, nach der nichts mehr für mich so sein wird wie vorher.
Ein Lied in der Nacht
Ein Bettler auf einer Bank. Unermüdlich mit seiner Klarinette auf der Suche nach den richtigen Tönen. Neben ihm ein leise spielendes Radio, dessen Melodien er offenbar zu folgen sucht. Ich werfe einen Schein in seinen Hut und denke an den »Mann mit dem Fagott«, das gute Omen unserer Familie.
Panja ist noch wach. »Du glaubst doch nicht, daß ich an solch einem Abend schlafen kann! Ich hab Johnny aufbleiben lassen. Wir haben alles gesehen und uns so unendlich gefreut. Ich glaube fast, daß der Kleine wirklich begriffen hat, was da heute passiert ist. Jetzt schläft er, und er lächelt im Schlaf. Und ich hab gerade mit deinen Eltern telefoniert. Sie sind alle ganz aus dem Häuschen und so unglaublich stolz auf dich! Gratuliere, gratuliere, gratuliere!«
Ich lache, höre an ihrer Stimme aber doch bei aller Freude eine
leichte Unsicherheit. Wie wird unser Leben jetzt weitergehen? Ich habe für mich ein großes Ziel erreicht, aber was bedeutet das für uns ? Eine Frage, die sie mir natürlich in diesem Moment nicht stellt und die doch in der Luft liegt. Genau die Frage, deren Unbeantwortbarkeit Gitta dazu gebracht hat, sich von mir zu trennen. Selbst in Augenblicken wie diesen ist dieses offene Problem spürbar.
Panja und ich haben vor zwei Jahren geheiratet. Sie hat ein Kind von mir erwartet, und ich habe meine Bedenken gegen die Ehe zweifelnd aufgegeben. Mein Vater hat mir den geliebten »Mann mit dem Fagott« zur Hochzeit geschenkt, so wie sein Vater ihn von dessen Schwiegervater und er selbst ihn von meinem Großvater bekommen hat. Seither steht er auf meinem Schreibtisch und begleitet mein Leben.
Kurz nach unserer Hochzeit wurde unser Sohn Johnny geboren, benannt nach meinem Bruder John, meinem Onkel Johnny, aber auch nach meinem Urgroßvater, dem Kapitän Johann Hinrich Bockelmann und meinem anderen Urgroßvater John Förster, dem Vater meiner schwarzen Omi.
Nun bin ich also Vater und verantwortlich für Frau und Kind und lebe doch nicht so, als ob ich das wäre, bin 300 Tage im Jahr unterwegs, habe meinen Sohn zum ersten Mal gesehen, als er zwei Monate alt war, und so wird das auch weitergehen. Permanentes schlechtes Gewissen, dem ich in dieser Nacht aber keinen Raum lassen will.
»Es ist schön, daß du für mich da bist«, sage ich deshalb leise. »Ich wollte mich nur kurz melden. Ich muß gleich wieder rein, erzähle dir bald alles in Ruhe. Gib Johnny einen Kuß von mir.«
Auf dem Rückweg wieder der Bettler. Ich glaube meinen Ohren nicht zu trauen, er müht sich auf seiner Klarinette an der Melodie von »Merci Chérie«, das gerade im Radio gespielt wird. Vor wenigen Stunden hat nicht mehr als eine Handvoll Leute dieses Lied gekannt, und nun hat es bereits einen Sog entwickelt, der mich mit sich trägt - und ich werde mich tragen lassen, wohin auch immer dieses Lied mich führt.
19. KAPITEL
Kärnten, August 1967
Das Land der Kindheit
Der Wörthersee im silbernen Abendlicht. Die tiefstehende Sonne läßt die Karawankenkette weit hinter dem südlichen Ufer in Flammen stehen. Riesige, glühende Schattenrisse in bizarren Farben, scheinbar zum Greifen nah. Der See ist aufgewühlt vom gerade abgezogenen Gewitter. Bizarre Wolkentürme, dazwischen der klare, wie blankgeputzte Himmel. Die bewaldeten Hänge des Südufers in satten Grüntönen. Die Farben meiner Kindheit,
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