Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Mann mit dem Fagott

Titel: Der Mann mit dem Fagott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Juergens , Michaela Moritz
Vom Netzwerk:
Lungenentzündung hinzugekommen.
    Sie rütteln sanft an seiner Schulter. »He, Klausen, meinst du, du kannst aufstehen?«
    Ein leises Stöhnen ist die einzige Antwort.
    »Nein, der kann nicht mit«, Johann Bockelmann schüttelt den Kopf. »Wir müssen das melden, es gibt keinen anderen Weg.«
    »Hoffentlich bringt ihn das nicht in Schwierigkeiten?« Thiedegans kann sich selbst kaum auf den Beinen halten. »Mensch, einer nach dem anderen stirbt uns hier weg. Sepp Mittergratnegger, Reinhold Diehl und sogar Herbert Dregger, der Sportler, der von uns allen der robusteste war und immer davon geträumt hat, noch mal in seinem Leben die tollste Frau im Arm zu halten. Und jetzt geht’s dem Jens so schlecht, und ich spüre genau, daß ich es auch nicht mehr lange mache. Und du, Bockelmann, du bist eigentlich immer der schwächste von uns allen gewesen, aber du lebst noch! Du scheinst ein zäher Hund zu sein!« Er klopft ihm freundschaftlich auf die Schulter.
    Johann Bockelmann legt Thiedegans den Arm um die Schulter. »Wir schaffen das! Du und ich und Sterzig und Baumann - und auch Klausen! Wir kommen hier raus, das verspreche ich dir! Wir dürfen nur den Mut und den Galgenhumor nicht verlieren. Wer sein letztes Lachen verliert, der ist verloren.« Er muß sich fast selbst mehr Mut zusprechen als Thiedegans.
    »Weißt du denn eigentlich noch alle Namen? Ich meine alle Namen von denen, die in dieser Baracke neben uns gestorben sind?«
    Johann Bockelmann denkt kurz nach, dann schüttelt er den Kopf.
    »Nein, nicht alle«, sagt er niedergeschlagen. Anfangs hatte er noch versucht, die Namen zu behalten, damit es wenigstens keine namenlosen Toten bleiben, irgendwo in dieser unendlichen russischen
Weite verscharrt - und um die Angehörigen suchen und verständigen zu können, falls er jemals hier herauskäme, aber es waren einfach zu viele.
    »Was haben die nur wieder vor?« Lars Baumann ist beunruhigt.
    Johann Bockelmann zuckt ratlos mit den Schultern.
    »Immerhin ist nach deutschem Kalender heute Weihnachten. Vielleicht hat es damit zu tun.« Adolf Sterzig versucht die niedergeschlagene Stimmung ein wenig zu heben.
    »Weihnachten? Bist du sicher?«
    »So gut wie. Wenn ich für die Soldaten Flickarbeiten mache, kann ich manchmal in ihren Baracken einen Blick auf den Kalender werfen. Und es deckt sich auch mit meinen eigenen Aufzeichnungen.« Adolf Sterzig hat die Tage der Gefangenschaft mit Strichlisten gezählt.
    »Dann ist heute also Weihnachten. Ob sie es wohl wissen?« Thiedegans stellt die Frage leise. Im Grunde spielt es keine Rolle. »Es ist mein siebtes Weihnachten in diesem Lager«, fügt er mit erstickter Stimme hinzu.
    Für Johann Bockelmann ist es das sechste, aber er spricht es nicht aus. Er braucht seine ganze Kraft, um sich aufrecht zu halten und aus der Baracke zu treten. Lars Baumann, Thiedegans und Adolf Sterzig folgen ihm.
    »Bystro! Aufstellen!« werden sie angefahren, sobald sie sich draußen blicken lassen. Es weht ihnen ein eiskalter russischer Wind ins Gesicht. Johann Bockelmann ist froh, seine »Autoreifen-Schuhe« an den Füßen zu haben. Die meisten Gefangenen haben nur noch ihre zerlumpten, stinkenden Fußlappen. So stehen sie zitternd, von allen Kräften verlassen im Schnee.
    Es werden in alphabetischer Reihenfolge Namen vorgelesen.
    »Wer aufgerufen wird - Vortreten!« lautet der Befehl. Es sind viele Namen dabei. Heißt es etwas Gutes oder etwas Schlechtes, aufgerufen zu werden?
    »Vielleicht werden die Aufgerufenen in ein anderes Lager verlegt«, flüstert Thiedegans ihm zu.
    »Schlechter als hier kann es fast nirgends sein«, antwortet Johann Bockelmann. »Hauptsache, man trennt uns nicht.«
    »Bockelmann, Johann« Schon fällt sein Name. Er tritt vor. Schlotternd und mit sich ringend, ob er diesen Aufruf als sein
Glück oder als sein Unglück betrachten soll. Er entscheidet sich für ersteres und braucht all seinen Mut, um daran festzuhalten.
    »Carstens, Thomas«, geht es weiter. Sie sind schon bei C. Baumann ist also nicht dabei.
    »Klausen, Jens«, ertönt es irgendwann. Johann Bockelmann dreht sich zögernd zu Thiedegans und den anderen um. »Klausen, Jens.« Wieder der Name. Johann Bockelmann hebt die Hand.
    »Was du wollen?«
    »Jens Klausen ist in der Baracke. Er ist zu krank, um aufzustehen.« Der Wärter schreibt irgendetwas auf, dann geht es weiter.
    »Sterzig, Adolf« wird irgendwann aufgerufen. Johann Bockelmann ist erleichtert. Was auch immer mit den Aufgerufenen passiert, er wird

Weitere Kostenlose Bücher