Der Mann mit dem Fagott
der anderen Seite der Elbe, die berühmte, alles überragende Raffinerie von BP, die mein ältester Onkel Erwin als Direktor bei der deutschen British Petrol als Bauherr mitgestaltet hat. Eine eindrucksvolle, riesige Industrieanlage, die mich immer, wenn ich in Hamburg bin, unübersehbar daran erinnert, wie einflußreich und mächtig Onkel Erwin in dieser Stadt ist … Ein wenig scheint er für mich über sie zu »herrschen«, jedenfalls gehört er zu den führenden Köpfen dieser Stadt, und ich bin beim Gedanken daran immer wieder hin- und hergerissen zwischen Respekt und Ratlosigkeit. Erwin, der Onkel, der meinem Vater deutlich zu verstehen gegeben hat, was er von meinem Lebensweg als »Unterhaltungskünstler« hält. Erwin, der meinetwegen beinahe mit meinem
Vater gebrochen hätte. Erwin, vor dem auch alles, was ich bisher erreicht habe, nicht zu zählen scheint, weil es nicht in sein Weltbild und sein Wertesystem paßt: konservativ, mit einem stark ausgeprägten Standesdünkel und einem Kulturverständnis, das klassische Musiker gelten läßt, in dem aber jemand wie ich, mit meiner Art Musik zu machen, als »Harlekin« oder »Tingeltangel-Musik« abgetan wird. Einem Sproß der Bockelmanns seiner Meinung nach vollkommen unangemessen.
Seit Jahren habe ich meinen Onkel Erwin nicht gesehen, wir haben seit langem kein Wort miteinander gewechselt, und es ist eine Wunde, die sich jedesmal in mir bemerkbar macht, wenn ich nach Hamburg reise. Bestimmt hat er die Plakate gesehen, sie sind ja nicht zu übersehen, die Artikel in den Zeitungen gelesen. Und bestimmt hat er auch meine Einladung zu diesem Konzert erhalten, aber diesmal habe ich nicht einmal die sonst übliche freundliche Absage seiner Sekretärin bekommen. Auch egal …
»Na, bewunderst du auch das Werk von unserem ›großen Vorsitzenden‹ Erwin?« Hinter mir die gutgelaunte Stimme von Onkel Johnny, der beim Anblick der Raffinerie ähnliche Gedanken gehabt haben muß wie ich. Wir haben uns hier, in Altona, an den Landungsbrücken verabredet, um in einem der vielen kleinen Lokale gemeinsam die von uns beiden so geliebten »Büsumer Krabben« zu essen. Onkel Johnny ist für ein paar Tage nach Hamburg gekommen, weil er geschäftlich hier zu tun hat. Er arbeitet auf Erwins Wunsch hin ebenfalls bei BP - bei der Rechtsabteilung in Frankfurt, und natürlich bringt dieser Job auch so manche Besprechung in der Hamburger Zentrale mit sich.
Daß er dadurch die Gelegenheit bekommt, meine morgige Premiere besuchen zu können, »macht das ganze todlangweilige Palawer«, das er bei all den Firmenbesprechungen zu hören bekommt, »um einiges erträglicher«, wie er meint. Seine Frau Hilde, die er kurz nach seiner Entlassung aus russischer Kriegsgefangenschaft kennengelernt und einige Jahre später geheiratet hat, begleitet ihn, und ich freue mich, die beiden zu sehen. Gemeinsam spazieren wir über die Altonaer Landungsbrücken, die für meinen Onkel Johnny ebenso faszinierend sind wie für mich - ein Ort des Aufbruchs, der Freiheit, der frischen Seeluft, der Gestrandeten und der Weltreisenden. Ich spüre, wie gut es mir tut, vor Beginn
dieser Tournee und inmitten all der seelischen Anspannung, die diese Aufgabe für mich mit sich bringt, noch einmal ein paar Stunden abtauchen zu können in diese andere Welt und in Gespräche, die sich nicht um Kartenverkäufe, technische Probleme und um meine Programmgestaltung drehen.
»Was ist das eigentlich für eine dumme Geschichte zwischen dir und Erwin? Was ist damals eigentlich zwischen euch vorgefallen?« nimmt Onkel Johnny den Anblick der Raffinerie zum Anlaß, ein Thema anzusprechen, das offenbar auch ihn beschäftigt.
Ich zucke mit den Schultern. »Ach, nicht so wichtig … Er will halt nichts mit mir zu tun haben, und ich muß das respektieren. Ich bin meinen Weg gegangen, so, wie ich ihn gehen mußte und wollte, und ich bin froh darüber, daß ich dabei keine Rücksicht auf die Kulturvorstellungen eines Teils meiner Familie genommen habe … Wer mit meiner Berufswahl nicht leben kann, der muß es eben bleibenlassen, da kann ich nichts ändern.« Es klingt ein wenig heftiger, bitterer und trotziger, als es eigentlich hätte klingen sollen.
Fünf Jahre ist es nun schon her, seit wir zum letzten Mal miteinander gesprochen haben. Damals habe ich auf Einladung seiner Familie, aber auch, um Geld zu sparen, für ein paar Tage bei ihm in seiner prachtvollen Villa an der Elbchaussee gewohnt, während ich Aufnahmen mit dem
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