Der Mann mit dem Fagott
Walzer, der für ihn zum Inbegriff des Schwebens wird, linke Füße hin oder her.
Was, wenn das Orchester gleich seine übliche kurze Pause macht? Was soll er dann tun? Was soll er sagen? Ein Glas Sekt, das wär’s, das wäre elegant und romantisch und vielleicht sogar ein bißchen weltmännisch. Aber er hat ja kein Geld. Nervosität, die ihn aus dem Takt bringt.
Hilde lacht. »Herr Bockelmann, darf ich Sie vielleicht zu einem Glas Sekt einladen?«
Ein vollkommen unkonventioneller, gegen alle gesellschaftlichen Regeln verstoßender Satz. Johann Bockelmann hätte Hilde dafür küssen können. Was für eine Frau!
»Ja, sehr gern«, nimmt er die Einladung ohne eine Spur von Peinlichkeit an.
Eine kühle Nacht. Die Terrasse ist menschenleer. Perlender Sekt in ihren Gläsern, vor ihnen die Lichter Lüneburgs. Johann Bockelmann hat einen Arm um Hildes Schultern gelegt, um sie zu wärmen. »Wollen wir morgen spazierengehen?«
»Ja, sehr gern!« Sie lächelt ihn an.
Zum ersten Mal Vorfreude auf morgen, zum ersten Mal ein Plan, ein Wunsch, ein Ziel …
»Wollen wir unser Leben zusammen verbringen?« Eine Frage, die ihm nicht aus dem Kopf geht und die er doch nicht wagt. Noch nicht.
Es ist eine sternklare Nacht. Zum ersten Mal seit vielen Jahren, vielleicht zum ersten Mal überhaupt, spürt er das Leben - sein Leben - prickelnd, betörend, spannend, wunderschön - und frei.
22. KAPITEL
Hamburg, 3. und 4. Oktober 1967
Büsumer Krabben und die Ruhe vor dem Sturm
Der Hamburger Hafen in reger Betriebsamkeit. Schiffssirenen, Kräne, Hafenarbeiter, Touristen, Prostituierte. Dunst steigt auf, leichter Hamburger Nebel.
Überall, an jeder Ecke, jeder Litfaßsäule riesige Plakate, die für meine Tournee, für mein Premierenkonzert morgen abend in der Musikhalle werben, obwohl das Konzert seit Wochen ausverkauft ist wie alle anderen Konzerte dieser Tournee. Nach »Jenny«, »Warum nur, warum« und »Merci Chérie« halten mich meine neuen Hits, allen voran das brandneue »Siebzehn Jahr, blondes Haar« auf den vordersten Plätzen diverser Hitparaden und haben zu einem wahren Boom geführt, der mir selbst manchmal fast unheimlich ist und den ich doch nach all den Schwierigkeiten meiner Anfangsjahre unendlich genieße. Wo immer ich in letzter Zeit aufgetreten bin, Jubel, bevor ich überhaupt nur einen Ton gesungen habe, alle Auswüchse des »Star-Rummels«, wie er bisher eigentlich nur den Rock’n’Roll-Helden der neuesten Generation entgegengebracht wurde. Ich bin in der letzten Zeit zu einem Teenageridol geworden, obwohl ich mit meinen 33 Jahren dafür eigentlich viel zu alt bin.
Morgen abend also die Tournee-Premiere in der Hamburger Musikhalle, einem der ehrwürdigsten deutschen Konzertsäle. Es wird mein erstes abendfüllendes Solo-Programm, das mich in den nächsten Monaten durch Deutschland und Österreich führen wird.
Es sind sogar Konzerte in Polen, der Tschechoslowakei, Ungarn, Belgien, Holland, Rumänien und Bulgarien geplant.
Hamburg, die Stadt, in der ich schon in meinen Anfangsjahren so viele Hoffnungen gelebt, gefeiert und begraben habe - erste Plattenverträge, abgeschlossen voll Zukunftsträumen und erfüllt mit Liedern, die andere für mich geschrieben haben, eines dünner als das andere, die natürlich zwangsläufig Mißerfolge geworden sind. Rauswurf wegen anhaltender Erfolglosigkeit, starre Weigerung meiner Plattenfirma »Polydor«, ein Risiko einzugehen und mich meine eigenen Lieder einspielen zu lassen - »Jenny« hin oder her - und ein Streit wegen 900 DM, die ich für sechs noch nicht aufgenommene, aber vertraglich zugesicherte Titel hätte bekommen sollen und nicht bekommen habe. Keinen einzigen Pfennig hat man mir ausbezahlt. Ich könne ja klagen. Natürlich konnte ich mir weder einen Anwalt noch einen Rechtsstreit leisten. Bittere Wochen voll sozialer Angst und der Plan, das Singen ganz aufzugeben, der hier, in dieser Stadt in mir entstand.
Dann die Begegnung mit meinem heutigen Manager Hans R. Beierlein, der mich mit der französischen Plattenfirma »Vogue« zusammenbrachte, die Stars wie Petula Clark und Françoise Hardy unter Vertrag hatte und nicht nur akzeptierte, sondern darauf bestand, daß ich meine eigenen Lieder singe - und sofort die ersten Riesenerfolge mit Millioneneinnahmen. Die Gesichter derjenigen, die damals bei Polydor in den vornehmen Alsterbüros für meinen Rauswurf und die nicht bezahlten 900 DM verantwortlich gewesen waren, hätte ich nur zu gern gesehen.
Vor mir, auf
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