Der Mann mit dem Fagott
Tanzorchester Franz Thon für den NDR zu machen hatte. Am letzten Abend hatten seine Söhne Wolf-Dieter und Peter eine große Party mit jungen Freunden aus der Hamburger Gesellschaft geplant. Tagelang gab es kein anderes Thema im Haus, und auch ich habe mich auf die Feier gefreut, bis Onkel Erwin mich am betreffenden Nachmittag in sein Arbeitszimmer bestellt hat. Er saß an seinem riesigen dunklen Schreibtisch, schwer atmend, von seinem Asthma geplagt, das ihn bereits schwer gezeichnet hatte. Mit seinen damals 59 Jahren war er vor der Zeit gealtert. Seine fahle Gesichtsfarbe und sein rasselnd-pfeifender Atem sind in meiner Erinnerung bis heute bedrückend präsent. Trotz seiner deutlich sichtbaren Krankheit hatte er nichts von der ihm eigenen Autorität und dominanten Erscheinung eingebüßt, die ich schon seit meiner Kindheit gleichzeitig bewundert und gefürchtet hatte. Ein Mann wie ein mächtiges Monument.
Ich stand ratlos vor ihm.
»Jürgen, worum ich dich heute bitten muß, ist ein wenig heikel, aber ich glaube, es ist richtig so.« Er unterbrach sich, um angestrengt Luft zu holen, fuhr dann fort: »Ich gehöre durch Herkunft und Position nun einmal zur führenden Gesellschaft dieser Stadt, und meine Kinder ebenso.«
Ich nickte, ahnungslos, worauf er hinauswollte. »Wir haben heute abend nur junge, vielversprechende Leute eingeladen. Und um es kurz zu machen, das ist nicht deine Welt. Diese Feier ist einfach nichts für dich, du würdest dich da auch gar nicht wohl fühlen, und daher bitte ich dich …« Er griff nach seinem Asthmaspray, inhalierte zweimal tief und kräftig. »Daher bitte ich dich, heute abend nicht hier zu sein.« Er streckte mir einen Zwanzig-Mark-Schein entgegen. »Mach dir damit einen schönen Abend, geh ins Kino oder was auch immer. Und bitte sag meinen Söhnen nichts von diesem Gespräch. Sie würden es nicht verstehen. Sag ihnen, du hast kurzfristig zu tun und bist deshalb heute abend verhindert.« Er machte eine kurze Pause und wandte seinen Blick leicht beschämt von mir ab, eine kleine, flüchtige Geste, in der ich ihm ansah, daß das, was er mir zu sagen hatte, ihm nicht leichtfiel. Dann meinte er leise, atemlos: »Es geht nicht gegen dich persönlich, wir alle mögen dich sehr gerne, aber mit deiner Art, dein Leben zu führen, bist du meiner Meinung nach nun einmal auf dem Holzweg, und es gibt eben Dinge, die passen einfach nicht zusammen.«
Er begann, seine Stifte und Papiere auf dem ohnehin aufgeräumten Schreibtisch zu ordnen, dann meinte er leise: »Das wäre dann auch schon alles. Wir haben uns verstanden?«
Wie ein begossener Pudel habe ich damals das Haus verlassen. Ziellos und einsam wie selten bin ich durch Hamburg gestreift, mehr als ich wahrhaben wollte getroffen von diesem Maß an Ablehnung, dem Gefühl, nicht gut genug zu sein für diese Familie, nichts zu bieten zu haben, und das, obwohl ich seit Jahren in meinem Beruf einen ehrlichen, anständigen und harten Weg zu gehen und mir Ziele zu erkämpfen versuche. Aber was ich auch tue, es scheint in Erwins Augen nicht auszureichen, bis heute nicht. Inzwischen feiere ich Welterfolge, habe in meinem Beruf mehr erreicht, als ich je zu träumen gewagt habe. Erwin scheint es bis jetzt noch nicht bemerkt zu haben.
Damals hatte ich nachts, nachdem ich zurückgekommen war,
meine Sachen gepackt und noch vor dem Frühstück Erwins Haus verlassen. Seither habe ich nichts mehr von ihm gehört.
»Du darfst Erwin nicht böse sein. Er meint es nicht so. Meine Partnerwahl mit Hilde, die ja nicht zur feinsten Gesellschaft gehörte, hat er auch nie akzeptiert, und trotzdem steht das nicht zwischen uns.«
Hilde lacht. »Ja, auch ich war vor einigen Jahren ausdrücklich nicht zur Feier seiner Silberhochzeit eingeladen. Das hat mich damals auch verletzt, aber heute lache ich darüber.«
»Ja, und vergiß nicht, was für eine Last Erwin tagaus, tagein in so vielerlei Hinsicht mit sich herumschleppt. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie froh ich darüber bin, der Jüngste und nicht der Erstgeborene in dieser Familie zu sein. Das gibt mir eine gewisse Narrenfreiheit, die er nie hatte«, meint Onkel Johnny lachend. »Aber auf Erwin lastete da von Anfang an ein ganz anderer Druck. Dieser Wahnsinnsjob als Europachef in einem der größten Energiekonzerne der Welt, und so zwischendurch ist er dann auch noch mal eben Präsident des Welt-Erdölkongresses und damit der mächtigste Vorturner der Welt in Fragen der Energieversorgung. Und dann
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