Der Mann mit dem Fagott
mir wieder mal irgendetwas mißlungen war. »Ich verstehe natürlich nichts von deinem Beruf«, meint er ruhig. »Aber eines fühle ich: Dein Erfolg ist kein Traum, kein Luftschloß ohne Fundament, sondern real und hart erarbeitet, mein Junge. Er zeigt dir doch, daß dein Weg der richtige ist, und darauf darfst du ruhig vertrauen.« Es scheint fast, als habe er meine Gedanken erraten. Er sieht mich fest an. »Das wichtigste ist, geradeaus zu gehen - auch geradeaus auf Dinge zu, die einem manchmal angst machen, und ich bin sicher, du kannst wirklich ruhig und selbstbewußt in den morgigen Tag gehen.«
Seine Worte, seine Ruhe tun mir unendlich gut. Fast so wie früher.
Geradeaus, denke ich, während ich ins Taxi steige, über den Hafen und Erwins von tausend Lichtern beleuchtete Raffinerie im leicht nebeligen Dämmerlicht blicke und mich auf den Weg zur letzten Probe in der Musikhalle mache.
Geradeaus … was für eine beneidenswerte Lebenshaltung und wie schwierig zu leben in einer Zeit wie dieser.
Geradeaus … das wäre ein Thema für ein Lied. Irgendwann vielleicht …
Geradeaus … wieviel Sicherheit erfordert das, auf dem richtigen Weg zu sein, wieviel persönliche Verantwortung, Selbstkritik und wieviel Mut. Und ich denke an Heinrichs Gang durch den Brunnen im Moskauer Hotel »Metropol« - meinen Vater und Onkel
Erwin fest an der Hand. Und an Onkel Johnnys ersten Spaziergang in Freiheit. Und an meine eigenen Ziele und Träume, die in mir brennen und mich treiben, meinen Weg zu gehen. Ob die Erwins dieser Welt das verstehen und honorieren oder nicht!
Die Probe
»… Menschen, wohin ich schau - Großstadtgetriebe - Und auf einmal - sah ich sie - SIE - Siebzehn Jahr’…« Die Probe wird plötzlich von einem gigantischen, schmerzenden Pfeifen unterbrochen. Rückkopplung.
»Verdammt noch mal, Heinz! Was soll denn das? Schläfst du eigentlich?«
Fluchen und Stöhnen von Heinz Allhoffs Platz. »Ihr habt leicht reden. Bedient ihr mal mit einer Hand den Verstärker und spielt mit der anderen Klavier!« Er dreht an den Knöpfen.
Heinz Allhoff ist mein Pianist, der das Klavierspielen für mich übernimmt, wenn ich aufstehe, an die Rampe gehe, was oft vorkommt. Und er bedient gleichzeitig unsere Soundanlage, die aus vier Boxen und einem kleinen Verstärker besteht, den wir immer auf einen Stuhl links neben dem Klavier stellen. Wir transportieren sie selbst auf dem Dach meines Wagens, einem neuen amerikanischen Ford Galaxy Station Waggon, die Instrumente hinten in einem Anhänger. Das Klavier mieten wir vor Ort, manchmal bekommen wir es auch von der jeweiligen Halle gestellt. Lichtanlage haben wir natürlich keine. Einen Spotscheinwerfer gibt es überall, und manche Hallen haben die Möglichkeit, die Bühne wenigstens in rotes oder blaues Licht zu tauchen. Und wenn nicht, geht es ja auch.
Heinz schraubt an seinen Knöpfen, spielt ein paar Töne auf dem Klavier. Es ist wirklich kompliziert für ihn, mit seinem kleinen Kästchen auf dem Stuhl für den richtigen Klang zu sorgen und dazu noch Klavier zu spielen. Irgendwann muß ich mir zu diesem Problem wirklich etwas einfallen lassen. Die großen amerikanischen
Stars sollen angeblich mit einem eigenen Tontechniker unterwegs sein, der mit einem kompletten Mischpult im Publikum sitzt. Bei uns wird es das wohl nie geben. Solche Anlagen mit all den Kabeln und dem Platz, den man dafür braucht, sind hier aus Sicherheitsgründen schon feuerpolizeilich nirgendwo im Publikumsbereich erlaubt.
Heinz gibt mir ein Zeichen. Probeweise spreche ich Zahlen ins Mikro. »Einundzwanzig, zweiundzwanzig … Test - Test - Test … Scheint okay zu sein. Kann’s wieder losgehen?«
Heinz nickt und spielt die Einleitung, unterstützt von Willy Uebelherr am Keyboard, seinem Bruder Sigi am Baß, Bob Blumenhoven am Schlagzeug und Walter Grägel mit seiner Gitarre, und ich steige ein.
Diesmal klingt es schon viel besser, und ich genieße den klaren, satten Sound in der Hamburger Musikhalle. Ein altes, renommiertes, wunderschönes Haus mit Logenplätzen, Stuckdecken, Sitzen aus rotem Samt. Ein richtiges altes Theater, vielleicht ein wenig wie das Bolschoj in Moskau oder auch das Klagenfurter Stadttheater, in dem ich zum ersten Mal begriff, daß für mich die Wirklichkeit auf der Bühnenseite des Vorhangs liegt und nirgendwo anders … Ein stattlicher und wohlklingender Rahmen für den Beginn einer Tournee. Der Saal bietet ungefähr 2000 Plätze, das ist genau richtig für den Anfang. Später
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