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Der Mann mit dem Fagott

Titel: Der Mann mit dem Fagott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Juergens , Michaela Moritz
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werden wir in viel größeren Hallen spielen, und ich frage mich manchmal, ob unsere kleine »Vier-Boxen-Anlage« von Dynacord da ausreichen wird. Aber das ist heute nicht unser Problem.
    »Okay, dann sollten wir ›Was ich dir sagen will‹ noch einmal anspielen. Der Tonartwechsel von G nach As-Moll wackelt jedesmal. Wenn ich die Achtel-Arpeggi auf dem D-Vier und dem Es-Vier-Akkord spiele …« Ich deute die Akkorde auf dem Klavier an »müssen wir alle ein leichtes, aber gleichmäßiges Ritartando hinbekommen. Wir sollten uns da alle nach dem Schlagzeug richten. Bob, bitte spiel diese beiden Takte ganz bewußt, sonst hebt der Instrumentalteil nicht richtig ab. Auf der Platte hab ich an dieser Stelle einen ganzen Streicherwald zur Unterstützung, aber hier muß ich das alleine richtig hinkriegen …«.
    Diesmal sitze ich selbst am Klavier, und sofort fühle ich mich viel sicherer. Mein Instrument gibt mir Ruhe und Selbstvertrauen, und
das Lied ist seit seiner Veröffentlichung in aller Munde, tönt aus allen Radiogeräten und ist dabei, einen Siegeszug um die ganze Welt anzutreten.
    Die Zuversicht und Spielfreude in mir wächst mit jedem Ton. Die Angestellten des Hauses haben sich im Zuschauerraum versammelt und halten inne, hören mir zu. Ein gutes Zeichen. Und auf einmal spüre ich, daß diese erste Solo-Tournee meines Lebens unter einem guten Stern stehen wird.

Der Bademantel
    »Zu-ga-be!! - Zu-ga-be!!« Die Rufe wollen einfach nicht verstummen, Minuten nach dem letzten Ton. Schweißgebadet, von der Menge umringt bahne ich mir meinen Weg in die Garderobe. Niemand hält das Publikum zurück. Die Bühne ist gestürmt. Man drängt sich an mich, weicht nicht von meiner Seite. Hilflose Versuche meines Managers Hans R. Beierlein und des Veranstalters Hans-Werner Funke, die Menschen ein kleines Stück zurückzudrängen.
    »So etwas hat es hier noch nie gegeben«, wiederholt Hans-Werner Funke immer wieder und kann offenbar nicht fassen, was er gerade erlebt - so wenig wie ich selbst. Die Menge tobt. Ich habe Zugabe um Zugabe gespielt, habe schließlich, als mein Repertoire erschöpft war, sogar die aktuellen Hits wiederholt, habe mehr als drei Stunden lang gespielt, habe alles gegeben, aber das Publikum versucht immer noch, mich zurück auf die Bühne zu rufen. Von allen Seiten werde ich von fremden Händen berührt, geküßt, umarmt und beglückwünscht. Die Hamburger Musikhalle ist ein einziges Tollhaus. Die Menschen stehen in den Gängen hinter der Bühne, versperren meinen Musikern den Weg zu mir und mir den Weg zu ihnen. Mühsam können Hans R. Beierlein, mein Fahrer Franz und Hans-Werner Funke dafür sorgen, daß die Fremden wenigstens an meiner Garderobentür haltmachen. »Ich komme gleich! Laßt mir ein paar Minuten, um mich frisch zu machen.«

    In der Garderobe lasse ich mich in einen Sessel fallen, atme tief durch, versuche zu begreifen, was mir nicht gelingt. Mein Leben ist in diesem Augenblick nur noch Gegenwart. Keine Reflexion, keine Distanz zu dem, was auf mich einstürmt. Von draußen höre ich immer noch die Chöre, die »Zu-ga-be!« brüllen und meinen Namen skandieren. Jemand von meinen Mitarbeitern hilft mir, die naßgeschwitzten Sachen auszuziehen, reicht mir ein Handtuch, einen Bademantel. Ich schwebe, bin erschöpft und glücklich. Jetzt nur nicht nachdenken. Mich einfach gehenlassen, Kraft tanken, wieder zu Atem kommen.
    Durch die geschlossenen Türen dringt Jubel aus dem Saal, die Rufe nach Zugaben, der nicht enden wollende Applaus, obwohl ich nun schon vor Minuten die Bühne verlassen habe, das Saallicht längst an ist.
    »Du mußt noch mal raus«, meint Hans R. Beierlein. »Gar keine Frage. Du mußt dich noch einmal zeigen!«
    Entgeistert sehe ich ihn an. »Ist das dein Ernst? Wie willst du in dem Chaos die Musiker noch mal zusammentrommeln? Und soll ich die nassen Sachen wieder anziehen?«
    Beierlein schüttelt den Kopf. »Du gehst raus, so wie du bist. Im Bademantel und ohne Musiker, verbeugst dich noch einmal. Das ist es, was man jetzt von dir erwartet.«
    Ich spüre, daß er recht hat.
    Ein Aufschrei der Menschen in den Gängen, als ich mich im Bademantel an ihnen vorbeidränge, zurück in den Saal. Jubelschreie in der Halle.
    Mich nur zu verbeugen, erscheint mir zu wenig. Also wieder ans Klavier. Noch einmal »Was ich dir sagen will«, der Titel wird mir zugerufen. Aufwogender Applaus, als ich die Einleitung spiele, im Bademantel, ganz allein. Eine irgendwie groteske Situation. Die

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