Der Mann mit dem Fagott
Menschen stehen zum Teil auf der Bühne, um mich herum, setzen sich auf den Boden, damit auch die anderen etwas sehen können. Ein kleiner Junge hockt neben mir auf dem Klavierstuhl und sieht fasziniert auf meine Hände.
»Hier bin ich zu Hause«, der neue Titel, den ich im Konzert selbst noch gar nicht gespielt habe. Man könnte ihn hier, in Hamburg, als Anbiederung mißverstehen, hatte ich befürchtet. Jetzt spüre ich, daß ich ihn spielen muß - gerade hier. »Hier - bin ich -
zu Hause - - wo Vertrautes - mir begegnet …« Ich kämpfe gegen den Kloß in meinem Hals, der meine Stimme rauh macht. Hamburg, die Stadt, mit der ich so viele Erinnerungen verbinde, Hamburg, die Stadt, die mich feiert und in der das Familienoberhaupt mich ignoriert und nun diese Menschen vor mir, die lauschen, mich mit offenen Gesichtern ansehen, manche mit feuchten Augen, Menschen, die Feuerzeuge anzünden, sich in den Armen halten, lächeln. Emotion pur.
Hans R. Beierlein und Hans-Werner Funke holen mich von der Bühne, bringen mich durch die Menschenmenge zurück in die Garderobe.
»Gut gebrüllt, Löwe!« Beierleins typisches Lob für einen gelungenen Auftritt, »Und übrigens: die Nummer mit dem Bademantel - das war phantastisch. Das mußt du beibehalten. Das wird zum festen Bestandteil des Programms, das machst du morgen abend wieder. Als allerletzte Zugabe!«
Ratlos sehe ich ihn an. »Meinst du wirklich? Das wird doch lächerlich.«
»Aber woher denn? Du wirst sehen, das wird bestimmt ein Markenzeichen von dir werden, etwas, das deine ganz besondere Nähe zum Publikum noch spürbarer macht. Und obendrein erkältest du dich nicht. Das ist genial! Es ist meine Aufgabe, solche Dinge zu erkennen.«
»Du warst fabelhaft, mein Junge!« Onkel Johnny hat sich zu mir durchgekämpft. Wir umarmen uns. »Ich gratuliere dir! Was du heute geleistet hast, das werde ich nie in meinem Leben vergessen. Das waren Sternstunden!«
»Danke!« Mir fehlen die Worte.
»Wir sehen uns später bei der Premierenfeier. Hilde und ich fahren schon mal vor. Wir können nicht lang bleiben, aber wir werden mit dir anstoßen.« Ich nicke.
»Bis gleich! Daß du hier warst, bedeutet mir viel. Übrigens, dein Anzug ist wirklich Weltklasse!«
Onkel Johnny dreht sich im Weggehen lachend wie ein Mannequin.
Ich mache mich frisch, schlüpfe in ein neues Hemd, neue Strümpfe, als Hans-Werner Funke mir einen Umschlag entgegenstreckt und erklärt: »Herr Jürgens, ein Onkel von Ihnen scheint
hier zu sein. Er hat uns eine Nachricht für Sie gegeben und wartet in einem Nebenraum.«
Ich sehe ihn verwirrt an. »Da habt ihr bestimmt etwas verwechselt! Mein Onkel war doch gerade hier. Onkel Johnny ist in der Sekunde gegangen, Sie haben ihn doch rausgelassen!«
Hans-Werner Funke nickt. »Ja, eben, aber das scheint ein anderer Onkel zu sein, ein Erwin Bockelmann. Hier steht’s jedenfalls so.«
Ungläubig nehme ich den Umschlag, auf dessen Rückseite sich tatsächlich Erwins Briefkopf findet, reiße ihn auf, finde Erwins Visitenkarte, auf der Rückseite die Worte »Vielleicht kann ich dich kurz sprechen? Danke, Onkel Erwin«. Ich kann es immer noch kaum glauben. »Ihr meint, er ist wirklich hier? Hier , in diesem Konzert, dieser Halle? Oder wurde das nur am Eingang von einem Boten für mich abgegeben?«
Hans-Werner Funke schüttelt den Kopf. »Nein, mein Mitarbeiter hat mir gesagt, er saß am Balkon, in einer der hinteren Logen, und man hat ihn jetzt in einen Nebenraum gebracht. Wollen Sie ihn sprechen!«
»Ja, natürlich, sofort.« Ich schlüpfe so schnell es geht in meine Hose, meine Jacke. Draußen skandieren sie immer noch meinen Namen. Ich spüre Nervosität. Was Erwin wohl hergeführt hat? Was wird er mir wohl sagen wollen? Hat er wirklich das ganze Konzert gesehen? Ob dieses entfesselte Publikum ihn wohl beeindruckt oder ihn eher abgestoßen hat? Wird er die Tatsache, daß ich die Menschen zu solch einem selbstvergessenen Jubel führe, mißbilligen oder bewundern? Wird er ein bißchen etwas von dem begriffen haben, was meine Musik mir bedeutet, oder wird er immer noch so denken wie früher, als er das, was ich tue, für eine Art unwürdiger Harlekinade gehalten hat? Egal, er ist hier, und ich werde mit ihm sprechen, wie auch immer dieses Gespräch verlaufen mag.
Etwas gebeugt, schwer atmend, von der Krankheit gezeichnet tritt er ein, reicht mir fast schüchtern die Hand. »Danke, daß du einen Moment Zeit hast.«
»Aber das ist doch selbstverständlich! Bitte,
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