Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Mann mit dem Fagott

Titel: Der Mann mit dem Fagott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Juergens , Michaela Moritz
Vom Netzwerk:
Schreibtisch der »Mann mit dem Fagott«, der heute auf meinem Schreibtisch steht, Anna mit den Jungs beim Ausritt. Bilder einer versunkenen Zeit. Darunter ein Umschlag, der die Aufschrift »Lenin« trägt. Groß und entschlossen geschrieben, mit schneller Linie unterstrichen. Ich stutze. Was hat Erwin mir denn da gegeben? Bestimmt hat er irgendetwas verwechselt. Das kann ja nun wirklich nichts mit meinem Großvater zu tun haben. Verwundert öffne ich den Umschlag, finde zuerst einen handgeschriebenen Brief Erwins an mich:
    Mein lieber Jürgen! Was Du hier lesen wirst, ist so unglaublich und von einer solchen Tragweite, daß ich lange Zeit hindurch Zweifel hatte, ob ich diese Unterlagen nicht einfach vernichten sollte. Doch ich habe mich mit gutem Grund entschlossen, das nicht zu tun. Du und Dein Vater sollt über dieses Kapitel in Heinrichs Leben Bescheid wissen und dann entscheiden, was zu tun ist. Vorläufig möchte ich Euch auf jeden Fall bitten, über das, was Ihr da lesen werdet, Stillschweigen zu bewahren. Wenn diese Dinge die Runde machen, könnte das unabsehbare Konsequenzen für den Zusammenhalt der Bockelmanns und eventuell auch für das politische Ansehen der Familie haben. Und das Wissen über diese Dinge könnte eventuell auch mißbraucht werden. Irgendwann wird sicher die Zeit kommen, in der man darüber offen sprechen kann. Laßt mich wissen, wie Ihr darüber denkt! Dein Onkel Erwin
    Ich ziehe einen Stapel mit Dokumenten heraus, die ich nicht sofort einordnen kann, doch nach wenigen Zeilen ist an schlafen nicht mehr zu denken..
    »An die Kaiserlich Deutsche Gesandtschaft, Stockholm, 5. Mai 1917…«

23. KAPITEL
    Stockholm / Saltsjöbaden, 5. Mai 1917

Der Sturm
    »An die Kaiserlich Deutsche Gesandtschaft zu Stockholm …«, Heinrich Bockelmann geht nervös auf und ab, sucht nach den richtigen Worten. Die schwarze Singer-Schreibmaschine mit dem goldverzierten Schriftzug rattert, steht dann wieder still. Sein Sekretär wartet auf eine Fortsetzung des Diktats.
    »Euere Exzellenz, im Verfolg meines Berichtes vom 3. dieses Monats teile ich Ihnen mit, daß heute aus Petersburg … Er verbessert sich. »Nein, natürlich ›Petrograd‹, haben Sie das?«
    »Ja.«
    »… daß heute aus Petrograd folgende Depesche eingetroffen ist: ›Bankaktien steigend zahlet Margen‹, was nach dem vereinbarten Schlüssel bedeutet, daß die Agitation für den Frieden einen günstigen Verlauf nimmt und eine Geldüberweisung gewünscht wird.« Er hält inne, geht auf und ab. Das Klappern der Schreibmaschine gibt ihm den Rhythmus vor. Ein schönes Geräusch, wie er findet. Ein Geräusch, das etwas bewegen könnte, ein gewichtiges Geräusch, ein Geräusch, das den Stillstand, den beklemmenden, vernichtenden Stellungskrieg zwischen seiner Heimat Deutschland und seiner Heimat Rußland beenden und endlich den ersehnten Frieden herbeiführen könnte. Es könnte ein mächtiges Geräusch sein, wenn der Plan funktioniert, den Heinrich Bockelmann gerade gemeinsam mit Geschäftsfreunden aus Deutschland und Schweden, der Kaiserlich Deutschen Gesandtschaft in Stockholm, dem deutschen Reichskanzler Theobald von Bethmann-Hollweg und
seinen diplomatischen und geschäftlichen Kontakten in Rußland ausarbeitet und in die Tat umsetzt. Und Heinrich Bockelmann glaubt fest daran, daß er funktionieren wird. Der Plan ist einfach zu gut, als daß er scheitern könnte.
    Die Schreibmaschine schweigt. Heinrich Bockelmann denkt nach. »Bitte, lesen Sie noch einmal vor, was wir bisher haben.«
    Der Sekretär liest.
    »Ja, das ist gut … Geldüberweisung gewünscht wird …«, er hält inne. »Ob und in welchem Umfange eine Geldanweisung à fond perdu am Platze ist, kann ich noch nicht beurteilen.«
    Heinrich Bockelmann blickt aus dem Fenster über die grüne, zerklüftete, atemberaubende Küstenlandschaft Saltsjöbadens, etwa fünfzehn Kilometer vor Stockholm in den Schären gelegen; Tausende kleiner Inseln, Reste von ehemaligen Gletschern aus der Eiszeit im Meer verteilt. Heinrich Bockelmann kann sich an dieser geheimnisvollen Landschaft nicht satt sehen. Wenn er sich später in seinem Leben jemals an Schweden erinnern wird, wird es ein Bild dieser Inseln sein, das in ihm bestehen bleibt.
    Saltsjöbaden ist ein Ort, den sich die bessere Gesellschaft als besonders lebenswert ausgesucht hat. Wer es sich leisten kann, hat hier eine Villa, zumindest ein Sommerhaus, einen Zweitwohnsitz. Prachthäuser in verzauberter Landschaft, die die Erfolgsgeschichten

Weitere Kostenlose Bücher