Der Mann mit dem Fagott
Tournee-Ende nachholen?
Das alte Paar ist aufgestanden, kommt mir Hand in Hand entgegen. Scheu sieht der Mann mich an, überlegt offensichtlich, ob er mich ansprechen soll. Ich lächle ihn an, sie lächeln beide zurück. »Entschuldigen Sie, wenn wir Sie ansprechen. Sie haben uns mit Ihren Liedern schon viel Kraft gegeben, und wir möchten Ihnen danken. Wir freuen uns auf heute abend …«
Er schüttelt meine Hand.
Ich bedanke mich, sehe ihnen noch lange nach, wie sie davonschlendern. Plötzlich freue ich mich wieder darauf, heute abend zu spielen, egal, wie chaotisch es auch werden wird. Ich werde spielen. Ich werde für die neue Zeit spielen, und auch für das alte Paar aus dem Park. Und ich werde für den Traum meiner Eltern und Großeltern spielen. Ich werde das Mauerstück zeigen, den Menschen von meiner Nacht am Brandenburger Tor erzählen.
»Wo bleibst du denn?« Mein Betreuer Hans Peter Escher, der von allen nur »H.P.« genannt wird, kommt mir entgegen. »Die Band ist endlich da, die Bühne ist aufgebaut, wir können noch einen ganz kurzen Soundcheck machen, dann ist Einlaß. Das Konzert beginnt natürlich verspätet.«
Zwei Stunden später. Ein verstohlener Blick in den Saal, der bis auf den letzten Platz gefüllt ist. Gespannte Erwartung. Letzte Meldungen werden mir zugeraunt: »Die Grenzer an etlichen Übergängen sollen sich ganz zurückgezogen haben …«
Ich nehme einen Schluck Weißwein gegen die Nervosität, setze meine weiße Maske auf, die zur Eröffnung dieses »Ohne Maske«-Tourneeprogramms gehört, denke an das alte Paar, das irgendwo im Publikum sitzt, stecke das Mauerstück in meine Smokinghose und fühle mich frei.
»Independence Day« - New York - Zürich, 6. / 7. Juli 1999
Nacht. Seit Stunden das gleichmäßige Surren der Triebwerke, das leichte Vibrieren des Flugzeugs, das mir so vertraut ist. Draußen ist es dunkel. Wir müssen irgendwo über dem Atlantik sein. Das Zeitgefühl habe ich verloren, wie immer bei weiten Flügen über die Zeitzonen hinweg. Ich werde mich tagelang wie im Fieber fühlen. Die meisten anderen Reisenden schlafen. Ich sehe mir ohne großes Interesse den Bordfilm an, »Star Wars«, ein Film, der zur Zeit in aller Munde ist. Die ständige Knallerei im Weltraum langweilt mich eher, aber ich habe jetzt auch keinen rechten Sinn dafür. Ich bin müde und gleichzeitig aufgekratzt. Vielleicht auch einfach zu müde, um zu schlafen. Oder zu aufgewühlt von dem, was hinter mir liegt.
Einige Reihen hinter mir blättern mein Manager Freddy Burger und seine Frau Christine gemeinsam in einem Magazin, und neben mir, durch den Gang des wenig besetzten Flugzeugs getrennt, schläft Corinna, die Frau, die ich vorgestern in New York geheiratet habe. Heimlich. Unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Nicht einmal meine Kinder wissen davon, nur mein Freund Bernhard Lackner, der das Hotel Plaza Athénée in der East 64 th Street in Manhattan leitet, in dem die Zeremonie stattfand und mein Manager Freddy Burger mit seiner Frau Christine, die unsere Trauzeugen waren, wurden eingeweiht. Und natürlich wußten Corinnas Eltern Bescheid, denn altmodisch, wie ich manchmal bin, habe ich um ihre Hand angehalten.
Es war eine Hochzeit im kleinsten Kreis in einer Hotelsuite vor einem schwarzen Friedensrichter mit schneeweißem Haar, in einem
feierlichen Englisch, das weder Corinna noch ich in allen Feinheiten wirklich verstanden haben, am amerikanischen Unabhängigkeitstag, einem Datum, das symbolisch für diese Ehe stehen soll: »Frei, doch nicht allein zu sein«. Genauso, wie es in einem meiner Lieder heißt.
Es war kein einfacher Weg dorthin. Manchmal wird mir richtig schwindelig, wenn ich die über zwanzig Jahre Revue passieren lasse, die wir uns nun schon kennen. Corinna und ich haben alle Höhenflüge und Enttäuschungen der Liebe schon erlebt. Wir lernten uns in den späten siebziger Jahren, in einer Zeit kennen, in der mein Leben mehr als chaotisch war. Eine scheinbar flüchtige erste Begegnung in der Aachener Fußgängerzone, die für uns beide lebensbestimmend wurde. Sie war blond, groß, schlank. Ich war fasziniert von ihrer Fröhlichkeit, ihrem Wesen, der Art, wie sie mir meinen Freiraum ließ. Zum ersten Mal seit langem hatte ich das Gefühl, hier einen Menschen getroffen zu haben, der meiner Vorstellung von einer Frau, mit der ich leben könnte, nahekam. Spielerisches Glück. Wir hatten Spaß miteinander, verreisten, lachten. Ich dachte, das reiche. Irgendwie nahm ich das, was
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