Der Mann mit dem Fagott
festzustellen, daß man sich nur glücklich, vollständig und geborgen fühlt, wenn man Musik machen kann, das war schwierig. Und doch bin ich dankbar für diese Zeit, diese Herausforderung, die keinen Platz für Halbheiten und ein Durchschlängeln ließ, sondern mich gezwungen hat zu bestehen.
Erinnerungen, die mich reich machen.
Für ein paar Tage kehre ich wie in jedem Sommer zurück an diesen
Ort meiner Kindheit, diese erste Heimat, in der ich immer noch ein bißchen unsicherer bin als in meinem sonstigen Leben, in der ich Menschen begegne, die mich schon als Kind gekannt haben, Menschen, die mich heute noch »Jürgen« nennen, beim Namen meiner Kindheit, der für mich der Name meiner Schwäche war, und denen »Udo« kaum über die Lippen geht. Es ist gut so. Es verunsichert mich, doch es ist gut, daß auch diese Erfahrungen nicht völlig untergehen und im Lauf einer grausam schnell verrinnenden Zeit versinken.
Ich fahre den Lendkanal entlang, die Straße, in der mein Vater damals, 1945, die britischen Panzerdivisionen kommen sah und wußte, daß eine neue Zeit begonnen hatte, und denke daran, wie er in dieser Stadt zuvor gelitten hatte. Monate seines Lebens in Gestapo-Haft, zum Tode verurteilt, abgemagert, eine Zeit, die er nur durch die Kraft der Erinnerung an all das Schöne, das das Leben bereithalten kann, überlebt hat, durch die Erinnerung an Tschaikowskijs »Schwanensee«, das Zwitschern eines kleinen Vogels, der immer wieder an sein Zellenfenster geflogen kam, und natürlich die Gedanken an seine Familie, an uns, die wir weit entfernt in Barendorf waren und nicht wußten, ob wir ihn jemals wiedersehen würden.
Wenige Augenblicke später liegt der Neue Platz mit dem Lindwurm vor mir, der mir früher immer viel größer erschienen war und läßt eine ganz andere Zeit auferstehen: die Jahre als Teenager, als wir Halbstarken immer am Reisebüro hier an der Ecke herumstanden, wie Humphrey Bogart eine Zigarette lässig im Mundwinkel, und uns das Leben, die große weite Welt, ferne Länder vorstellten und wie wir einmal erfolgreich sein und sie uns erobern würden. Wir ahnten ein Erwachsensein und eine Kraft des Lebens, das soviel bunter, freier, intensiver und erfolgreicher sein würde als unsere Gegenwart im grauen, Nachkriegs-Klagenfurt. Alles schien uns möglich, die Weichen waren noch nicht gestellt, seltsamer Zustand des Schwebens in unzähligen Möglichkeiten eines erahnten Lebens.
Für die meisten Freunde von damals werden diese Träume in einem normalen Alltag erstickt worden sein und nur manchmal, in der Erinnerung an frühere Tage als leise Vorstellung dessen, wie es hätte sein können, wiederauferstehen. Daß für mich die Wirklichkeit die Träume übertreffen würde, konnte ich damals natürlich noch nicht ahnen.
Gleichzeitig die ersten verliebten Gefühle, schüchterne Spaziergänge Hand in Hand durch die Stadt und erste tastende Versuche mit diesem neuen, kaum zu fassenden Gefühl. Wer besonderes Glück hatte, fuhr mit seinem Mädchen zum Kreuzbergl, dem Treffpunkt für Pärchen, die schon ein wenig über das Händchenhalten hinausgingen. Meine große Liebe von damals ging nicht mit mir zum Kreuzbergl und verließ mich schließlich für einen dreißig Jahre älteren Weinhändler - für mich ein Moment, an dem ich ernsthaft mein Leben beenden wollte - und mein erstes dramatisches Liebeslied schrieb, mit dem ich kurz danach den österreichischen Komponistenwettbewerb als jüngster Teilnehmer gewann. Wunderbare Verkehrungen von Glück und Unglück.
Mein Weg führt mich vorbei am Stadttheater. Dort habe ich mit zwölf Jahren »Das Land des Lächelns« gesehen und gefühlt, daß ich mein Leben auf der anderen Seite des Vorhangs führen muß. Und Jahre später habe ich genau dort meine erste erfüllte Liebe kennengelernt: Brigitta Köhler, die am Stadttheater als Schauspielerin gemeinsam mit Peter Weck engagiert war, während ich als Anfänger in meinem Beruf in einer Operette mitwirken durfte. Peter Weck und ich freundeten uns an, ich gab ihm Klavierunterricht und hatte so Gelegenheit, auch Gitta kennenzulernen, die ich schon lange aus der Ferne unter anderem in der Rolle der Marie in Goethes Clavigo bewunderte und verehrte. Es folgten vier intensive gemeinsame Jahre, in denen sie mir auch half, zu erkennen, was für mich in meinem Beruf wichtig ist, und meinen Weg zu finden, dann die Trennung - und vor zwei Jahren ein Wiedersehen nach mehr als vierzig Jahren. Wie im Film gleiten Orte und
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