Der Mann mit dem Fagott
die meisten Menschen jenseits der 60 Greise. Nicht nur, weil wir sie mit der Arroganz und Distanz der Jugend so gesehen haben, sondern sicher vor allem, weil sie sich selbst so gesehen und mit der Welt abgeschlossen haben. Mein Lied »Mit 66 Jahren fängt das Leben an« habe ich, als ich Anfang 40 war, sicher auch aus Beklemmung gegenüber einer Welt geschrieben, in der ein ganzer Teil der Gesellschaft sich selbst von aller Lebendigkeit ausgeschlossen hat.
Heute ist eine ganz andere Generation 60 und älter geworden, Menschen, die noch etwas bewegen, die nicht am Ende ihres Weges angekommen sind, die noch Ziele haben, neugierig sind, die Lebensfreude leben, die sich nicht einfach beiseite schieben lassen, die sich noch ernstnehmen und die ernstgenommen werden. Und auch meine eigene Antwort auf all die ungelösten Fragen des Lebens kann eigentlich nur eine einzige sein: weiter meinen Weg zu gehen - geradeaus, wie es mich mein Großvater und mein Onkel Johnny gelehrt haben - und zu sehen, wohin er mich führt. Und mein Weg ist nun einmal die Musik, eine andere Antwort auf alle Fragen, alle Euphorie und alle Beklemmung des Lebens habe ich nie kennengelernt. Und mein Beruf stellt mich vor die wunderbare Möglichkeit,
in meinem Alter wie in jedem anderen Alter zuvor immer wieder neu beginnen zu können: Jedes neue Lied ist ein Neubeginn, der die neuen Erfahrungen, die neuen Themen, die neuen Klänge meines Lebens, der Zeit, in der ich lebe, mit erfaßt, jeder Auftritt muß aufs neue die Menschen erreichen, der Erfolg von gestern zählt dabei nicht, und jede neue Tournee ist ein neuer Lebensabschnitt, den es auszufüllen und zu bewältigen gilt. Jedes neue Programm ein Spiegelbild meiner Seele in der jeweiligen Zeit.
Seit mehr als dreißig Jahren mache ich Tourneen, an ihnen bemesse ich selbst mein Leben, meine Erinnerungen, Wegmarken meiner Zeit.
In wenigen Wochen beginnt wieder so eine Wegstrecke: Mehr als 100 Konzerte sind geplant. Ein Marathon, den ich kenne und immer wieder neu bewältigen muß. Ein enges Korsett aus Disziplin, geregelten Abläufen, Anforderungen, die es Tag für Tag aufs neue zu bestehen gilt, aber auch eine Phase der Freiheit. Wenn ich auf Tournee bin, muß ich keinen Alltag bewältigen, kein aufmerksamer Partner sein, nichts Geschäftliches entscheiden, mich um nichts anderes kümmern als darum, abends alle Kraft abzurufen und alle Sinne für jene drei Stunden zu öffnen, die zählen. Ein Leben im Ausnahmezustand der Musik. Und wenn es gelingt, gehört mir für Augenblicke die ganze Welt, dann bin ich der starke Ritter, der den Drachen besiegt und alle Abenteuer des Lebens besteht, wie ich es mir in meiner Kindheit immer erträumt habe.
Seit einem Jahr bereite ich mich darauf vor, habe in wochenlangen Diskussionen mit meinem Orchesterchef Pepe Lienhard und meinem Arrangeur Torsten Maaß mein Programm zusammengestellt, mit dem ich es mir nicht leichtmache, habe die Texte so lange gelernt, bis ich sie nun selbst bei laufendem Fernseher und anderen Störungen wiedergeben kann, habe mit Torsten die Arrangements gestaltet, eine Dramaturgie gefunden, die mich herausfordert. In wenigen Tagen beginnen die Proben, die ersten Stunden der Wahrheit. Mehr als 300 000 Menschen haben bereits jetzt ihre Eintrittskarten, Menschen, die ich überhaupt nicht kenne und mit denen mich doch irgend etwas verbindet, die von mir Antworten erwarten, Anregungen, Erinnerungen, vielleicht auch einfach nur einen schönen Abend. Daß ich das mit fast 70 Jahren erreiche, ist mir fast unvorstellbar, und es macht mich stolz.
Mein Manager Freddy Burger hat also mit seinem Satz »Du wirst auch in deinem siebzigsten Lebensjahr noch auf der Bühne stehen« recht behalten. Als er ihn aussprach, begannen wir unsere Zusammenarbeit, ich war Mitte Vierzig - und eigentlich schon längst zu alt für diesen Beruf, der doch immer vor allem der Jugend gehuldigt hat. Daß es mir gelungen ist, all dem meinen ganz anderen Weg entgegenzusetzen und ich selbst zu bleiben, gibt mir eine große innere Ruhe.
Eine Schwalbe zieht hoch über mir ihre Kreise. Mein Leben, meine Kindheit hier in dieser Landschaft, meine Eltern, aber auch meine Familie, die Lebensgeschichten meines Großvaters und Urgroßvaters, die Art, wie mein Vater und seine Brüder ihr Leben bewältigt haben, hat mich geprägt. Was würde mein Großvater empfinden, wenn er mich heutzutage kennenlernen, mich auf einer Bühne erleben könnte? Wie merkwürdig verschlingt sich das
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