Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Mann mit dem Fagott

Titel: Der Mann mit dem Fagott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Juergens , Michaela Moritz
Vom Netzwerk:
Fagott«. Dazu eine Karte:
    Der ›Mann mit dem Fagott‹ hat Dir den Weg nach Rußland gewiesen. Er soll auch Eurer Liebe den richtigen Weg weisen und Dich immer daran erinnern, wie wichtig es ist, manchmal im Leben der Melodie Deiner Träume zu folgen. Viel Glück und willkommen in der Familie, Dein Schwiegervater John Förster
    Kein anderes Geschenk seit der Taschenuhr seines Vaters hatte ihm je so viel bedeutet wie diese Figur und diese Zeilen. Er hatte den »Mann mit dem Fagott« in seinem Salon aufgestellt, damit sein Blick immer darauf fallen konnte. Und manchmal, wenn es galt, eine schwierige Entscheidung zu fällen, hatte er innegehalten, ihn besonders lange betrachtet, sich ins winterliche Bremen, an den Marktplatz zurückgeträumt, der Melodie seiner Phantasie gelauscht, und meistens wußte er dann, was zu tun war. Auf eine geheimnisvolle, unergründlich schicksalhafte Weise.
    Auch die Kinder fühlten, daß von diesem »Mann mit dem Fagott« ein ganz besonderer Zauber ausging und liebten ihn. Besonders Rudi.
    »Ja, genau, Rudjascha, das ist ein Fagottist, genau wie unser ›Mann mit dem Fagott‹«, erklärt Heinrich schließlich und drückt den Jungen behutsam an sich.
    Anfangs versucht Rudi, die Musiker zu zählen, dann gibt er auf. Es sind viel, viel mehr, als er erwartet hatte.
    Vor Aufregung hat er ganz nasse Hände. Es ist ihm peinlich, und er bemüht sich, sie möglichst unauffällig auf seiner Hose zu trocknen.
    Das Stimmengewirr im Saal wird leiser, die Musiker haben Platz genommen.
    Deutlich entfaltet sich nun ein ganz anderer Ton, der sehnsuchtsvolle, hölzern-sphärische Klang einer Oboe, den die anderen Instrumente nach und nach leise aufnehmen, der anschwillt und wieder verebbt und sich wieder erhebt.
    Der Saal beruhigt sich langsam immer mehr. Rudi hält beinahe den Atem an, um nur ja nichts zu verpassen.
    Dann endlich konzentrierte Ruhe. Sogar Wera unterbricht ihr Gewedel. Das Licht wird vollkommen abgedunkelt. Nur an den Notenpulten der Musiker noch schwaches Licht. Der Dirigent betritt den Orchestergraben und schlängelt sich durch die Reihen der
Musiker. Applaus. Atemlose Stille. Langsam hebt der Dirigent seinen Taktstock und zeigt auf einen einzigen Musiker. Wie aus weiter Ferne beginnt die Oboe, untermalt von leisen Streichern, eine Melodie zu spielen, die Rudi sofort in seinem ganzen Wesen erfaßt und mit sich in eine Traumwelt zieht. Wera gibt dieser Traumwelt leise einen Namen: »Das ist das H-Moll-Thema.« Es ist das allerschönste, was Rudi jemals in seinem Leben gehört hat, schöner als der Klang des Regens an seinem Fenster und das Knirschen weichen Neuschnees unter seinen Füßen, schöner als das lang ersehnte, bunt gemischte, fröhliche und würdige Klingen aller Glocken der Stadt an Ostern, schöner als die Melodie des Windes und das Singen der Vögel im Frühling, schöner sogar als der Klang der Uhr seines Vaters und jener von Weras Stimme. Der einsame Klang der Oboe erfüllt ihn mit einer tiefen, unergründlichen Sehnsucht, die ihn sein Leben lang nicht mehr wieder loslassen wird.

Geradeausgehen
    Minutenlang anhaltender Applaus. Jubel. Erwin, Rudi und Wera sind aufgesprungen. Tänzer verbeugen sich auf der weltberühmten schräggestellten Bühne des Bolschoj-Theaters, die den Zuschauern vom waagrechten Parkett aus guten Einblick gewähren soll und für die Tänzer eine große Herausforderung und erhebliche körperliche Belastung bedeutet, wie Wera aus eigener Erfahrung von der ebenso schräggestellten Probebühne weiß.
    Die Rückverwandlung der Figuren in Tänzer kann Rudi kaum begreifen. Eben war der junge Prinz mit seiner Geliebten dem Licht entgegengeschwebt. Jetzt verbeugt er sich lächelnd Hand in Hand mit ihr und dem bösen Zauberer Rotbart, der ihre Liebe mit List und Tücke töten wollte. Ein erster kleiner Einbruch von Realität, der irritiert, den Rausch des Abends aber nicht bricht. Immer wieder wird der Vorhang gesenkt, um sich dann doch wieder zu heben und den Tänzern Gelegenheit zu einer neuen Verbeugung zu geben.

    Heinrich und Anna möchten sich eigentlich schon auf den Weg machen, um nachher nicht ins Gedränge zu kommen, doch die schier unstillbare Faszination der jungen Leute, die mit glühenden Wangen ihren Blick kaum von den Geschehnissen auf der Bühne abwenden können, läßt sie ihr Vorhaben aufgeben. Sogar Erwin ist völlig gefangen im Bann des Märchens. Daß es wahrscheinlich, wie er irgendwo gelesen hat, in Deutschland spielt, fasziniert

Weitere Kostenlose Bücher