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Der Mann mit dem Fagott

Titel: Der Mann mit dem Fagott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Juergens , Michaela Moritz
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einer weißen Prachtuniform gesellt sich zu der Gruppe um Heinrich, grüßt Erwin von Mann zu Mann mit Handschlag und kneift Rudi wie ein kleines Kind kameradschaftlich in die Wange. Rudi windet sich und betrachtet die Platzanweiser und Wächter vor den prunkvollen Türen. Ihre Uniformen haben es Rudi angetan. In seiner Phantasie sind das die Helfer seines großen Helden, eine unangreifbare Armee der Kunst, vor der auch große Generäle des Zaren die Waffen zu strecken haben.
    »Papa, sind das die Soldaten Apollos?« flüstert er Heinrich Bockelmann voll ehrfürchtiger Sehnsucht nach Bestätigung zu.
Leider hat auch Erwin die Frage gehört, und er nutzt sie wieder einmal, um seine Überlegenheit zu demonstrieren.
    »Du Dummkopf! Apollo gibt es doch gar nicht so richtig! Diese Geschichten sind doch bloß Mythologie!« Verächtlich fährt er fort: »Soldaten Apollos …, du bist ja vielleicht blöd! Das sind Platzanweiser, Personal, Lakaien!«
    Rudi, bloßgestellt und den Tränen nahe, weiß sich nicht anders zu helfen, als aufgewühlt »Du lügst! Du bist selber blöd!« zu stammeln und mit seinen Fäusten gegen Erwin zu boxen, der nur lacht und die unbeholfenen Schläge mühelos abwehrt. Schnell greift Heinrich ein, packt die beiden Streithähne an den Handgelenken. »Schluß jetzt!«
    Erwin und Rudi winden sich.
    »Ihr habt beide recht«, versucht Heinrich die erhitzten Gemüter zu beruhigen. »Apollo wird wirklich, wenn man an ihn glaubt. Und es ist wichtig, ihn existieren zu lassen! Aber so eine Armee wie du denkst, braucht er nicht. Er hat die Macht der Phantasie auf seiner Seite, und das ist mehr als genug.« Er macht keinerlei Anstalten, diese Worte näher zu erklären, und Rudi fühlt sich ebenso bestätigt wie Erwin. Trotzdem schlagen die Wogen der Aufregung immer noch hoch.
    Heinrich nimmt Zuflucht zu seiner bewährten Methode, Bruderzwist in seinem Hause mit väterlicher Autorität und einem Appell an den Familiensinn der Streithähne zu schlichten. »Gebt euch die Hand!« fordert er. »Sonst gehen wir sofort nach Hause!«
    Widerwillig fassen die Brüder sich an den Händen. Sie wissen schon, was jetzt kommt. »Sprecht mir nach: ›Siehe wie schön und lieblich es ist‹.« Die Brüder murmeln folgsam und mit gesenkten Köpfen den Spruch, den sie schon auswendig kennen und in solchen Momenten besonders hassen, »›wenn Brüder einträchtig miteinander leben‹«.

»Schwanensee«
    Es ertönt ein dunkler, satter, wunderschöner Gong, und als sei dieser Ton das geheime Zeichen Apollos, öffnen die Theaterdiener die Türen. Obwohl Rudi weiß, daß es unhöflich ist, sich vorzudrängeln, schiebt er sich zwischen Anna und Frau Baronin Knoop, um schon einmal einen Blick in die Loge zu erhaschen. Staunend blickt er um sich. Wohin auch immer er schaut, sieht er strahlende Lichter, Vorhänge aus schwerem, dunkelrotem Samt und Menschen, die sich in die prächtigsten Kleider gehüllt haben, die Moskau zu bieten hat. An Wänden, Logen und sogar an der Decke goldene Ornamente, ein riesiger, strahlender Lüster, umringt von den Musen. Heinrich erklärt ihm ihre Bedeutung: »Das da rechts ist Erato, die Muse der Liebesdichtung, daneben Thalia, die Muse des Lustspiels, also der Theaterstücke zum Lachen, und Melpomene, sie bewacht die Kunst der Tragödie, das sind die ganz ernsten Stücke, und da drüben, ganz wichtig für dieses Haus, Terpsichore, die Muse des Tanzes.«
    Rudi nimmt die Namen auf wie große, wunderbare Geheimnisse, die er mit seinem Vater teilt.
    Heinrich zeigt ihm hinten in der Mitte die prachtvoll ausstaffierte Zarenloge, umrahmt von Fresken, geschützt von einem großen, roten Vorhang, der geöffnet ist.
    »Wenn der Vorhang offensteht, dann bedeutet das, daß jemand von der Zaren-Familie der Romanoffs anwesend ist«, erklärt Heinrich, und Rudis Phantasie hat neue Nahrung.
    »Der Zar! Bestimmt wird heute der Zar da sein!« Welche Krönung für diesen ersten Theaterbesuch.
    Zur Feier des Tages dürfen die beiden Knaben ganz vorne in der Privatloge der Junker-Bank im ersten Rang sitzen, von wo aus sie den besten Blick haben. In die Mitte nehmen sie Wera, die sich mit ihrem edlen Fächer Luft zufächelt, wie es Damen der Gesellschaft zu tun pflegen. Rudi ist von dieser Geste etwas befremdet. Sie paßt so gar nicht zu Wera, und er hat ein wenig Angst, während der gesamten Vorstellung dieses Gewedel neben sich zu haben, das ihn ablenken würde. Wenn sie nachher nicht aufhört, wird er sie ganz lieb und

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