Der Mann mit dem Fagott
Kundschaft bedauerte, einer deutschen Privatbank in Zeiten wie diesen nicht mehr die Treue halten zu können, aber man habe keine andere Wahl. Immerhin stand zu befürchten, daß die Bank bald enteignet, Gelder eingefroren oder gar vom russischen Staat für sich beansprucht werden würden.
Heinrich Bockelmann konnte sie bei aller Bitterkeit verstehen. Was ihn aber nahezu verrückt machte, war die Tatsache, daß der Petersburger Bankier Mitka Rubinstejn mit seinen zweifelhaften Geschäftsbeziehungen und seiner Freundschaft zu dem zwielichtigen Rasputin bereits unverhohlen begonnen hatte, die Situation auszunutzen und seine Hände nach der Junker-Bank auszustrecken. Aber noch konnte sich alles zum Guten wenden. Zu Heinrichs Erstaunen war das Vermögen der Zarenfamilie noch nicht abgezogen worden. Vielleicht war dies ja ein gutes Zeichen. An Tagen wie diesen war man dankbar für jedes positive Signal.
Werner Vogel blättert in seinen Papieren, geht mit Heinrich noch einmal die Punkte durch, auf die es bei der großen Besprechung der deutschen Wirtschafts- und Kulturelite im Lande ankommen würde. Es schien außerordentlich schwierig zu sein, die verschiedenen politischen Strömungen im Kreis der deutsch-russischen Freunde miteinander in Einklang zu bringen. Wichtig und fast entscheidend wird sein, auf gar keinen Fall zu polarisieren, stellen sie übereinstimmend fest. Es wird darauf ankommen, das gemeinsame Interesse an der Abwendung des Schlimmsten zu betonen. Das deutsche Lager durfte nicht auch noch auseinanderbrechen. Wenn man überhaupt eine Chance haben wollte, mußte man mit einer Stimme sprechen und handeln.
Die Besprechung im Petersburger Hotel »Astorija« war vielleicht eine wirkliche Chance. Wenn man es richtig anging. Das gesellschaftliche Gewicht konnte sich nicht von einer Stunde auf die andere völlig in nichts aufgelöst haben. Wenn man dies nun geballt und vereint in die Waagschale der Geschichte warf, mußte das doch irgendeine Wirkung zeigen. Auch jetzt noch. Und zur Not würde er seine persönlichen Kontakte zum Zarenhaus zu nutzen versuchen. Irgendwie gab es immer einen Weg. Und immerhin war Zar Nicolai mit dem deutschen Kaiser Wilhelm verwandt, Cousins. Sie sollen sich in Briefen und bei persönlichen Begegnungen
salopp mit »Nicki« und »Willy« ansprechen, hört man in Diplomatenkreisen. Der Zar hat eine deutsche Frau, das sind doch alles Bande, die mehr wiegen als die gegenwärtigen Probleme. Das muß doch eigentlich helfen, in letzter Minute eine Einigung zu finden.
Diese Hoffnung beruhigt Heinrich Bockelmann ein wenig. Er setzt sich, um sofort wieder aufzustehen, als Bladt ihn mit leiser Stimme wissen läßt: »Es fällt mir schwer, das auszusprechen, Herr Bockelmann, aber ich bin eigentlich seit gestern entlassen.«
Heinrich begreift nicht. »Aber wie? Ich meine, wie kommen Sie denn darauf? Ich habe Sie doch nicht entlassen! Sie sind einer meiner wichtigsten und fähigsten Mitarbeiter. Ich kann ganz unmöglich auf Sie verzichten.« Er runzelt die Stirn, verwundert und fast ein wenig belustigt über die Absurdität dieses Gedankens.
Bladt schüttelt den Kopf. »Nein, Sie haben mich natürlich nicht entlassen, aber es gibt eine offizielle Weisung, wonach alle deutschen Angestellten ihre Tätigkeiten sofort einzustellen und auf weitere Anweisungen zu warten haben.« Er macht eine Pause. »Aber selbstverständlich gilt das nur offiziell. Ich werde Ihnen natürlich inoffiziell gern zur Verfügung stehen, so lange Sie mich brauchen.«
Werner Vogel nickt zustimmend. »Ich brauche wohl nicht extra zu betonen, daß dies auch für mich gilt. Auch ich bleibe natürlich zu deinen Diensten, sofern du dies wünschst.«
»Was denn? Du etwa auch!« Heinrich Bockelmann wendet sich entsetzt an seinen Schwager. Dieser nickt. »Das kann doch wohl nicht wahr sein!« Heinrich Bockelmann schlägt wütend mit der flachen Hand gegen das Abteilfenster. »Soweit kommt es noch, daß die russische Regierung mir vorschreibt, mit wem ich zusammenzuarbeiten und wen ich zu entlassen habe! Noch ist das meine Bank, noch entscheide ich , wer bei mir angestellt ist und wer entlassen wird! Das wäre ja noch schöner. Das kommt überhaupt nicht in Frage. Ihr bleibt - beide!«
Alfried Bladt nickt. »Selbstverständlich.«
Werner Vogel pflichtet ihm bei.
Heinrich Bockelmann kann sich über diese neue Information kaum beruhigen. Aufgebracht wendet er sich an seinen Schwager: »Nimm diesen Punkt auf die Themenliste,
Weitere Kostenlose Bücher