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Der Mann mit dem Fagott

Titel: Der Mann mit dem Fagott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Juergens , Michaela Moritz
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Werner! Sowohl mit der Petersburger Filiale als auch im großen Rahmen muß diese
Frage angesprochen und geklärt werden. Das können wir uns nicht bieten lassen. Noch sind wir nicht rechtlos. Oder ist es etwa schon soweit?«
    Werner Vogel zuckt ratlos mit den Schultern und notiert erstaunlich ruhig den neuen Tagesordnungspunkt.
    Der Zug verlangsamt seine Fahrt, bleibt für einen Moment unplanmäßig in einem kleinen Bahnhof stehen. Heinrich öffnet die Tür, die vom Abteil aus direkt auf den Bahnsteig führt, in der Hoffnung auf ein wenig frische Luft, doch von draußen dringen nichts als Hitze und Lärm in das Abteil. Laut zischender Wasserdampf entweicht pfeifend aus den Bremsventilen der Räder und nebelt alles ein. Beißender Geruch nach verbrannter Kohle und abgestandenem Wasser. Als die Schwaden sich verzogen haben und den Blick auf den Perron freigeben, unglaubliches Chaos vor seinen Augen. Menschen eilen scheinbar ziellos umher. Soldaten, wohin man auch blickt. Und zwischendrin Frauen, Kinder, Zivilisten. Familien, die sich verabschieden. Hektik. Gruppen von jungen Rekruten kauern auf dem Boden, die Gewehre auf den Knien, warten auf einen Zug, der sie irgendwohin bringen wird. Irgendeine Stimme brüllt irgendwelche Kommandos, versucht offenbar, Ordnung in das Chaos zu bringen. Eine junge Frau, ein weinendes Baby auf dem Arm, umarmt einen Leutnant, der sich behutsam loszumachen sucht. Die andere Welt schon in seinem ernsten Blick. Pflicht gegenüber dem Vaterland. Eine andere Art von Verantwortung. Eine Mimik, die Heinrich so schnell nicht wieder vergessen wird. Entschlossenheit, die ihren Weg geht. Gefühl eines brodelnden Dampfkessels, der jederzeit überkochen kann.
    Jemand schreit: »Türen geschlossen halten! Nicht ein- oder aussteigen! Zurücktreten!« Heinrich Bockelmann schließt die Tür wieder. Schon setzt der Zug seine Fahrt fort. Heinrich fühlt sich plötzlich gefangen. Wie in einem Käfig, denkt er und ahnt noch nicht, wie sehr er sich für diesen Gedanken im Luxusabteil des Expreßzuges Moskau - St. Petersburg schon bald schämen wird. Noch hat er keine Ahnung, wieviel schlimmer es kommen kann.
    Man fährt durch Uljanowka, einen Vorort von Sankt Petersburg. Noch an die fünfzehn Minuten Fahrzeit. Heinrich greift nach der Taschenuhr in seiner Weste, öffnet den Deckel. Es summt und bimmelt und klingt. Töne, die Heinrichs Nervosität in diesem Moment
nur steigern. Gereizt drückt er auf den kleinen Knopf, der die Uhr schweigen läßt. Ein schneller Blick auf das Zifferblatt. »Wenigstens die Züge sind noch pünktlich.«
    Bald wird er in der Kutsche durch eine der schönsten Städte der Welt fahren, die romantischen Kanäle überqueren, die Newa mit ihren atemberaubenden Brücken wiedersehen, die glanzvollen, großzügigen, herrschaftlichen Paläste … Heinrich Bockelmann wundert sich darüber, daß der Anblick ihn in diesen Stunden interessiert und ihn einen Augenblick lang innehalten läßt in der angsterfüllten Unruhe, die er sein Leben lang in dieser Form noch nicht kannte. Schönheiten, die bleiben, in einer Welt, die zu versinken droht. Einen Wimpernschlag lang Hoffnung.

Krisensitzung
    »Das dürfen wir uns einfach nicht gefallenlassen, meine Herren!« Baron Friedrich von Taube blickt mit seinen harten, kalten, grauen, von den Anstrengungen der letzten Zeit sichtlich überreizten Augen herausfordernd in die Runde. Treffen der Petersburger Kaufmannschaft. Krisensitzung.
    An die achtzig der bislang einflußreichsten Wirtschaftsführer deutscher Herkunft ringen um ihre berufliche und persönliche Zukunft. Man sitzt an ovalen Tischen - nach Einfluß und Bedeutung im Raum gruppiert. Die wichtigsten Männer im Zentrum. Hoffnungsträger. Die Nerven liegen blank. Dichter Qualm von Pfeifen, Zigaretten und Zigarren im prächtigen und doch ein wenig abgeschabten Konferenzraum des Petersburger Astorija. Die verschnörkelte, rot-goldene Architektur des Salons, die riesigen, edlen Teppiche, die Sofas und Sessel aus rotem Samt, der große, vielflammige Lüster, die livrierten Diener lassen die heraufziehenden Bedrohungen unwirklich erscheinen. Kultiviertes Auftreten wider die eigene Angst. Eleganz, die sich in nervösen Blicken, offenstehenden Hemdkrägen, hervortretenden Adern, aufgequollenen, roten oder blassen Gesichtern auflöst. Geruch nach Tabak und Rauch, süßlichem Wein
und Tee. Kein Gefühl mehr für Tag und Nacht. Geschlossene Fenster, zugezogene Vorhänge, als könne man damit die

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