Der Mann mit dem Fagott
nicht in ihrem Sinn, daß man mich hier einkerkert wie einen Mörder oder Staatsfeind. Wenn sich eine Lösung finden ließe …« Schnell fügt er hinzu: »Vielleicht wäre es möglich, Sie um ein kurzes, ungestörtes Gespräch zu bitten, damit ich Ihnen meine Lage darstellen kann.«
Gespannt blickt er dem Kommissar ins Gesicht. Dieser mustert ihn einen Augenblick lang, sagt dann mit bestimmter Stimme und aufgesetzt eisigem Gesichtsausdruck: »Kommen Sie mit!«
Hoffentlich war das ein gutes Zeichen! Mit so festen Schritten wie sie ihm bei aller Angst, den blankliegenden Nerven, dem wenigen Schlaf möglich sind, folgt er dem Kommissar zu einem nur wenige Meter entfernt liegenden Raum, offenbar einem Verhörzimmer. Kahl möbliert. Ein grober Schreibtisch, zwei Stühle, eine lose von der Decke hängende Glühbirne. An der kahlen, weißen Wand ein Bild des Zaren.
Kaum hat der Kommissar die Tür hinter sich geschlossen, wird er freundlicher. »Setzen Sie sich«, bietet Heinrich einen Stuhl an. »Also, was haben Sie mir anzubieten?«
Mit solch einer direkten Frage hatte Heinrich nicht gerechnet. Wenn dies nur keine Falle war.
»Wissen Sie«, beginnt er leise und vertrauensvoll zu sprechen. »Ich habe immer nur das beste für Rußland gewollt, und das weiß auch Wladimir Fjodorowitsch Dzhunkowskij. Es ist sicher richtig, daß Rußland alles tut, um sich vor Staatsfeinden zu schützen. Aber ich bin kein Staatsfeind. Ich könnte Ihnen jetzt Geld für Ihre Hilfe anbieten, aber wieviel ist mein Leben, meine Freiheit wert? Es wäre lächerlich und unwürdig, sie mit dem Bargeld bezahlen zu wollen, das ich bei mir habe. Das würde uns nicht weiterbringen.«
Er macht eine Pause, »Aber ich habe etwas viel Besseres. Ich habe diese Uhr.« Er legt die schwere, massiv goldene Taschenuhr auf den Tisch. Ein interessierter Blick des Kommissars. Heinrich wartet einen Augenblick ab, dann erklärt er: »Ich möchte Ihnen diese Uhr nicht schenken. Ich würde sie auch niemals verschenken. Sie bedeutet mir einfach zuviel.«
Der Kommissar blickt erstaunt und ratlos, doch Heinrich gibt ihm keine Gelegenheit, über die vermeintliche Dreistigkeit dieser Worte nachzudenken. Ruhig und unbeirrt fährt er fort: »Diese Uhr hat mir mein bisheriges Leben lang Glück gebracht. Sie soll mir auch jetzt Glück bringen, und deshalb habe ich nicht vor, sie Ihnen zu schenken.«
Er hält inne. »Was nützt sie Ihnen auch? Auf dem Schwarzmarkt bringt sie sicher höchstens ein Zehntel ihres Wertes ein, und das wäre für uns alle ein schlechtes Geschäft.«
Er macht eine erwartungsvolle Pause, fährt dann freundlich und bedächtig fort: »Aber ich möchte sie Ihnen in Verwahrung geben. Als Pfand für mein Leben. Wenn ich heil hier herauskomme, kaufe
ich sie von Ihnen im vollen Geldwert zurück. Nehmen Sie sie ruhig. Was meinen Sie, was diese Uhr wert ist?«
Der Kommissar zögert, doch seine Augen leuchten gespannt. Heinrich reicht sie ihm. Sichtlich erstaunt über ihr Gewicht, wiegt dieser sie in seiner Hand.
»Das ist pures Gold«, setzt Heinrich nach. Und nach einer kurzen Pause: »Diese Uhr ist mehr wert als das Jahresgehalt eines verdienten russischen Beamten. Sie können die Uhr gern schätzen lassen.«
Der Kommissar blickt die Uhr fasziniert an. »Und was soll ich dafür tun?«
Der erste Satz seit seiner Frage nach Heinrichs Angebot.
»Bedenken Sie, auch mir sind die Hände gebunden. Ich kann Sie nicht einfach gehen lassen. Das müssen Sie verstehen. Das kann mich Kopf und Kragen kosten.«
Heinrich lächelt ihn freundlich an. »Dessen bin ich mir bewußt. Aber Sie können dafür sorgen, daß ich hier unter einigermaßen menschlichen Bedingungen untergebracht werde. Und Sie können mir helfen, ein Schreiben an den stellvertretenden Innenminister Dzhunkowskij zuzustellen, in dem ich ihm von meiner Lage berichte und ihn um Hilfe bitte. Alles Weitere wird sich dann sicher finden.«
Der Kommissar nimmt ein Päckchen mit billigen Zigaretten aus seiner Tasche, bietet Heinrich eine an, gibt ihm Feuer, bedient sich dann selbst. Heinrich nimmt einen tiefen Zug, läßt den Rauch langsam von seinen Lippen aufsteigen, fährt dann nachdenklich fort: »Für Sie ist das völlig risikolos. Und wenn ich ein Lügner sein sollte: Sie riskieren nichts. Sie haben nur einen Brief zugestellt. Und Sie haben dann immer noch die Uhr und zumindest ihren Schwarzmarktwert.«
Der Kommissar nickt gebannt. Er läßt den Deckel der Uhr aufspringen. Sie summt und bimmelt
Weitere Kostenlose Bücher