Der Mann mit dem Fagott
und klingt. Der Kommissar findet sichtlich Gefallen an der Spielerei, schließt den Deckel dann wieder mit ernster Miene, läßt die Uhr in seine Tasche gleiten. Aus dem Schreibtisch nimmt er einen Stift und Papier, reicht es Heinrich. »Bitteschön, Barin, schreiben Sie!«
Heinrich kann sein Erstaunen über die hochachtungsvolle Anrede kaum verhehlen. Er beginnt zu schreiben, stellt seinem Freund
Dzhunkowskij mit knappen Worten seine Lage dar, reicht dem Kommissar den Brief. Mutig geworden fügt er hinzu: »Und dann hätte ich noch eine ganz persönliche Bitte: Könnten Sie meine Familie über meinen Verbleib informieren und mir Nachricht bringen, ob meine Frau und meine Söhne wohlauf sind?«
»Selbstverständlich. Das sollte kein Problem sein.«
Heinrich bedankt sich. »Haben Sie gehört, wie die Lage draußen ist? Sind die Deutschen in ihren Häusern immer noch in Gefahr?«
Mißbilligendes Stirnrunzeln. »Ja, Barin, leider. Dieses Vorgehen ist durchaus nicht in unserem Sinne. Das ist der Volkszorn. Wir können nicht überall gleichzeitig sein und aufpassen. Es gerät alles außer Kontrolle. Ich bedauere das sehr.«
Heinrich wiegt nachdenklich-verständnisvoll den Kopf. »Kann man denn da gar nichts tun? Sie müssen verstehen. Es macht mich verrückt, hier zu sein und nicht selbst auf meine Familie aufpassen zu können. Ich würde noch mal 100 Rubel drauflegen, wenn Sie mir diese Sorge nehmen.«
Der Kommissar nickt beflissen. »Ich werde eine Wache vor Ihrem Haus organisieren.«
Heinrich bedankt sich erleichtert. »Ich stehe tief in Ihrer Schuld.«
Der Kommissar steckt den Brief an den stellvertretenden Innenminister vorsichtig und mit einer knappen Verbeugung ein, dann fällt ein kleiner Schatten des Bedauerns über sein Gesicht. »Aber, Barin, das Gefängnis ist vollkommen überfüllt. Ich kann dafür sorgen, daß Sie in einer Zelle in den oberen Etagen untergebracht werden. Dort ist es etwas erträglicher und wenigstens trocken, aber das Beste, was ich in dieser Sache im Moment für Sie tun kann, ist eine Zweierzelle, mit nur vier Mann belegt.«
»Nur vier Mann«, denkt Heinrich sarkastisch und entsetzt gleichermaßen, doch daran läßt sich wohl nichts ändern. Dieses Unheil wird er hinnehmen müssen.
Der Kommissar scheint seine Gedanken erraten zu haben. Bedauernd erklärt er: »Das ist wirklich eine außerordentlich gute Unterbringung für dieses Haus. Normalerweise haben Zweierzellen hier zwanzig Insassen.«
Heinrich sieht den Kommissar entsetzt an. »Ich danke Ihnen sehr!«
Man tritt wieder auf den Gang. Sofort wird die Miene des Kommissars unzugänglich, sein Ton herrisch, wieder ganz autoritäre Amtsperson, der den Gefangenen keines Blickes würdigt. Er ruft einen Wärter heran und verfügt barsch: »Dieser Gefangene wird auf Zelle 762 in Block B gebracht. Sie sind mir persönlich für ihn verantwortlich!«
Der Wärter nickt, lächelt leicht. Er scheint diese Wendung zu kennen. Wahrscheinlich bedeutet sie einen kleinen Anteil für ihn. Machtstrukturen. Geld war immer noch das beste Argument.
Ganz unten
Brütende Hitze, beißender Gestank. Ungeziefer, Enge. Ein schmaler, hoher Raum. In der oberen Ecke ein winziges, vergittertes Fenster, ein wenig Tageslicht, doch seit Tagen hat er den Himmel nicht mehr gesehen. Schon lange kein Gefühl mehr für Zeit und Raum. Vier endlose Nächte lang das Morgengrauen ersehnt und bei Sonnenaufgang die Abenddämmerung. Dankbar für jede kleine Abwechslung. Drei Schritte hin, drei Schritte zurück wider die Erstarrung. Nur Sekunden totgeschlagen. Zeit, die stillzustehen scheint.
Heinrich schlägt wütend mit der Faust gegen die massive, eiserne Tür. Manchmal kommt ein Wärter. Für Geld oder Zigaretten sind Vergünstigungen zu kaufen, ein paar Minuten auf dem Korridor in ein wenig besserer Luft, eine kleine Extraration Wasser oder Brot, Gelegenheit, sich zu waschen, frisches Stroh für das Nachtlager.
Fluchen aus einer der beiden Pritschen, auf denen in Schichten geschlafen wird, schmalen Holzkästen mit alten, stinkenden Strohsäcken. Keine Decken. Man benutzt seine Kleidung, seinen Mantel, was immer man bei sich hat. Immobilienkaufmann Andreas Schiller, spezialisiert auf Landgüter und repräsentative Residenzen, hat einen Floh gefangen, zerdrückt ihn mit seinen Nägeln. Ein kleiner, unbedeutender Sieg gegen die Horden von Ungeziefern, mit denen man die Zelle teilt.
»Zum Glück gibt es hier wenigstens nur selten mal eine Ratte. In den unteren
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